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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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Cocktailschirmchen in die Haare gesteckt. Der Mann will ihr einen Löffel von seinem Nachtisch in den Mund schieben - gebackene Banane und Vanilleeis -, aber sie nimmt ihre Gabel und bedient sich lieber selbst. Einen Bissen, zwei Bissen.
    Als die Beifallrufe an unserem Tisch verklingen, wirft Alex mir einen schuldbewussten Blick zu. Jedenfalls kommt es mir so vor. Bestimmt denkt sie, dass ihre gute Laune nicht zu ihr passt oder dass sie nicht zu unserer Situation passt - wir dürfen im Moment nicht glücklich sein. Ich glaube, wir wissen alle, dass wir bald heimgehen sollten, haben aber keine Lust dazu. Die Musiker packen ihre Instrumente zusammen.
    »Es ist noch ganz früh«, sagt Alex. »Mir kommt es vor wie zehn Uhr.«
    »Weil wir den ganzen Tag in der Sonne waren«, sagt Scottie. Sie schaut zu mir, und ich nicke.
    Ich denke an Brians Sohn. Ich habe ihn aus dem Ozean geholt. Ich habe ihm etwas beigebracht, was sein Vater ihm hätte beibringen sollen: dass man, wenn man von der Strömung erfasst wird, seitwärts schwimmen soll und nicht geradeaus. Er musste mir die Hände um den Hals legen, während ich ihn zum Strand zog. Ich fragte ihn: »Hast du Ähnlichkeit mit deinem Vater?«
    »Keine Ahnung«, sagte er, und sein Atem kitzelte mich am Ohr.
    »Heute Abend musst du deiner Mutter irgendwann sagen, dass es mir leidtut - wenn du ins Bett gehst, vielleicht.«
    »Was denn?«
    Ich antwortete nicht. Ich brachte es einfach nicht über mich. Ich sah sie am Ufer stehen, das Wasser umspülte ihre Füße, und sie wartete darauf, dass ich ihr ihren Jungen zurückbringe. Am Strand rutschte er von meinem Rücken, und ich erklärte ihm noch einmal, wie man bei Strömung schwimmen muss. Er konnte mir nicht in die Augen sehen. Seine Mutter kam angerannt, und als sie ihn mit gequälter Miene umarmen wollte, entzog er sich ihr und hockte sich auf den Boden. Sie bedankte sich bei mir und führte die Jungen dann schnell zum Cottage zurück. Ich setzte mich hin, um mich auszuruhen, und sah, wie Scottie mit einem Stock ein Herz in den Sand zeichnete. ICH LIEBE … aber dann kam eine Welle und spülte ihre Liebeserklärung weg.
    »Wen liebst du?«, frage ich sie jetzt. »Am Strand - du hast es in den Sand geschrieben.«
    »Ich liebe keinen«, sagt sie.
    Alex macht ein Plätschergeräusch, das so klingen soll, als würde jemand pinkeln. »Den Giraffenjungen.«
    »Halt die Klappe!«
    Wir lachen alle, und Scottie blickt triumphierend in die Runde.Vielleicht ist sie stolz darauf, dass sie es mit diesem Trick geschafft hat, sich an den Jungen ranzumachen. Oder vielleicht ist sie auch einfach nur stolz darauf, verliebt zu sein. Wer liebt, fühlt sich anderen überlegen. Bis er herausfindet, dass er nicht zurückgeliebt wird.
    »Der ist es sowieso nicht«, sagt Scottie. Sie fährt mit dem Finger über den Tisch. Vielleicht schreibt sie einen Namen. Die wahre Liebe.
    »Ich liebe … euch«, sage ich unvermittelt. Meine Mädchen sehen mich an und wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Ich glaube nicht, dass sie das hören wollen - beide haben noch nie erlebt, dass ich ernsthaft so etwas sage. Die meisten Musiker haben das Restaurant verlassen, aber ein paar sind noch geblieben und fangen wieder an zu spielen.Wir sind alle erleichtert. Meine plötzliche Liebe kann wieder versurren.
    »Auf euren Vater, der euch liebt!«, sagt Sid und hebt sein Wasserglas.
    Alex sieht erst mich an, dann Sid. Ich frage mich, ob sie weiß, dass ich weiß, dass Sids Vater tot ist. Sie berührt Sids andere Hand, die Hand, mit der er nicht das Glas hochhält. Ich hebe ebenfalls das Glas und stoße mit ihm an. Wir stellen die Gläser wieder ab. Das Touristenpaar steht auf. Die Frau nimmt ihre Handtasche und den Orchideen-Lei. Der Mann zählt Geldscheine ab und schaut sich um, hält einen Moment die Rechnung und die Scheine in der Hand, dann legt er alles auf den Tisch. Die Frau sieht zu uns herüber, und ich winke ihr zu, sie winkt zurück und geht zur Tür. Der Mann starrt auf den Tisch, nimmt ein paar Geldscheine vom Stapel, steckt sie in die Tasche und folgt seiner Frau.
    Ich schaue zu den Musikern. Zwei Männer spielen jetzt Gitarre statt Ukulele. Der Mann mit der Ukulele singt Gabby Pahinuis Hi’ilawe , mit passend gutturaler Färbung. Die Gitarristen spielen Slack key, und die Klänge ergreifen mich, wie der Alkohol - Kühnheit und Trauer, alles geht in mich hinein. Slack key. Ki ho’alu. Das bedeutet so viel wie »Lockere die Stimmung der Saiten«. Ach,

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