Mit dir an meiner Seite
nicht einmischen sollte - schließlich kannte er diese Ronnie gar nicht und hatte keine Ahnung, warum sie nicht bei ihrem Dad geblieben war. Vielleicht gab es ja einen guten Grund dafür. Aber der Vater hatte tiefe Sorgenfalten im Gesicht, und Will dachte daran, wie geduldig und fürsorglich das unbekannte Mädchen mit dem kleinen Kind umgegangen war. Jedenfalls war es heraus, ehe er lange überlegt hatte: »Sie ist zum Bower's Point gegangen.«
Scott unterbrach sich mitten im Satz, und Ashley warf Will einen missbilligenden Blick zu. Die anderen drei musterten ihn verdutzt.
»Ihre Tochter, stimmt's?« Als der Vater zögernd nickte, fuhr Will fort: »Sie wollte zum Bower's Point.«
Der Polizist starrte ihn an, dann wandte er sich an den Vater. »Wenn ich hier fertig bin, geh ich hin und rede mit ihr. Ich werde ihr sagen, sie soll nach Hause gehen, okay?«
»Das ist nicht nötig, Pete.«
Der Polizist schaute sich um. »Ich denke, in diesem Fall ist es wirklich besser, wenn ich hingehe.«
Will überkam ein seltsames Gefühl der Erleichterung. Wieso eigentlich? Anscheinend konnte man es ihm ansehen, denn als er sich zu seinen Freunden drehte, beäugten die ihn befremdet.
»Was war das denn?«, fragte Scott wieder.
Will antwortete nicht. Er konnte einfach nicht antworten, weil er es selbst nicht verstand.
Kapitel 6
Ronnie
Unter normalen Umständen hätte Ronnie die nächtliche Szene gefallen. In New York sah man nicht viele Sterne wegen der Lichter der Großstadt, aber hier war das völlig anders. Obwohl vom Wasser leichter Dunst aufstieg, konnte man deutlich die Milchstraße erkennen, und im Süden leuchtete hell die Venus. Die Wellen rauschten und brachen sich in regelmäßigem Rhythmus, und am Horizont schimmerten verschwommen die Lampen der Fischerboote.
Aber die Umstände waren nicht normal. Sie stand auf der Veranda und blitzte den Polizisten böse an. Sie war so wütend!
Nein, das stimmte nicht. Sie war mehr als wütend. Sie kochte innerlich. Was gerade passiert war, kam ihr dermaßen ... übertrieben vor, dass sie es kaum fassen konnte. Ihr erster Gedanke war: Ich fahre per Anhalter zum Busbahnhof, und da löse ich mir ein Ticket nach New York. Sie würde weder ihren Vater noch ihre Mutter informieren, sondern Kayla anrufen. Wenn sie erst wieder in Manhattan war, würde sie sich ihren nächsten Schritt überlegen. Egal, was passierte - schlimmer als das hier konnte es auf keinen Fall sein.
Aber sie kam nicht weg. Es ging nicht - hinter ihr stand Officer Pete und passte auf, dass sie auch tatsächlich ins Haus ging.
Das war doch nicht zu glauben! Wie konnte ihr Dad - ihr eigener Vater - so etwas tun? Sie war fast volljährig, sie hatte nichts verbrochen, und es war noch nicht mal Mitternacht. Was war das Problem? Warum musste er die ganze Sache so hochspielen? Es war doch alles völlig harmlos! Klar, zuerst hatte Officer Pete so getan, als ginge es ihm nur darum, dass sie alle den Bower's Point räumen sollten - worüber sich die anderen nicht weiter wunderten -, aber dann hatte er sich auf sie gestürzt. Ganz speziell auf sie.
»Ich bringe dich nach Hause«, hatte er verkündet, als wäre sie gerade mal acht Jahre alt.
»Danke, nicht nötig«, hatte sie erwidert.
»Dann muss ich dich leider festnehmen, wegen Landstreicherei, und dann kann dein Dad dich auf dem Revier abholen.«
In dem Moment begriff sie, dass ihr Vater den Polizisten gebeten hatte, sie nach Hause zu bringen, und eine Sekunde lang war sie sprachlos, weil sie sich so gedemütigt fühlte.
Sie hatte zwar öfter Probleme mit ihrer Mom gehabt, und hin und wieder war sie später nach Hause gekommen als mit ihr vereinbart. Aber ihre Mutter hatte nie die Polizei auf sie gehetzt - kein einziges Mal.
Der Beamte holte sie aus ihren Gedanken. »Nun geh ins Haus«, forderte er sie auf, und sein Tonfall gab zu verstehen: Falls sie sich weigerte, würde er die Tür für sie öffnen.
Aus dem Inneren des Hauses hörte sie leises Klavierspiel. Sie erkannte die Sonate in e-Moll von Edvard Grieg. Schließlich holte sie tief Luft, ging hinein und knallte dann demonstrativ die Tür hinter sich zu.
Steve hörte auf zu spielen und schaute sie an.
»Du hast mir die Bullen auf den Hals gehetzt!«, zischte Ronnie.
Ihr Vater sagte nichts, aber sein Schweigen genügte ihr als Antwort.
»Warum tust du so was?«, zeterte sie los. »Wie kannst du nur? Das lasse ich mir nicht gefallen!« Er schwieg immer noch.
»Was soll das? Willst du
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