Mit Familienanschluß
Kollege«, sagte er zu Wolters, »vor den Ferien sollten wir noch einmal über Ihren Sohn Manfred sprechen. Bei mir in Physik ist er … Verzeihung … eine Träne!«
»Bitte …« Wolters nickte. »Gehen wir nach hinten. Setzen wir uns.«
»Ich dachte, es wäre vielleicht besser, wenn wir das bei Ihnen zu Hause besprächen. Wir könnten dann auch Manfred gleich selbst befragen.«
»Natürlich.« Wolters grinste verhalten. »Ich möchte nur von vornherein klarstellen, daß Fräulein Aurich mein Arbeitszimmer nicht betritt, wenn ich Besuch empfange. Sie werden sie also nicht zu Gesicht bekommen.«
Am knappsten war Kollege Dr. Meier III. Er unterrichtete Mathematik. »Na, Sie Pascha!« sagte er zu Wolters. »Denken Sie an Cäsar und Cleopatra, das ging auch nicht gut!«
Hermann Wolters fand das alles sehr dumm und plump, unkollegial und neidisch. Er wartete immer im Gymnasium, bis Eva mit Manfred auf dem Roller davongebraust war. Erst dann verließ er die Schule und stieg in seinen alten Wagen. Allerdings blieb es bei so vielen Sticheleien nicht aus, daß Wolters sich unentwegt mit Eva beschäftigte – natürlich nur geistigerweise – und einmal mußte er sogar an den Straßenrand fahren und anhalten, weil er sich nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren konnte.
Er steckte sich eine Pfeife an und rief zur Dämpfung seiner eigenen Bedenken einige berühmte Schicksalsgenossen zu Hilfe: Pablo Casais, Artur Rubinstein, Pablo Picasso, Salvatore Dali, Leopold Stockowsky, Curd Jürgens, Herbert von Karajan … die Liste konnte man meterlang fortsetzen. Sie alle waren durchaus nicht ausgewichen, wenn eine jüngere Frau, eine wesentlich jüngere Frau, den Herzschlag und die Pulsfrequenz belebte. Soll ein Studienrat da mönchischer denken?
Wo, bitte, steht das geschrieben?!
Aber solche Augenblicke der inneren Rechtfertigung waren selten. Wenn Dorothea und Eva nebeneinander standen, etwa unten im Garten beim Wäscheaufhängen, kam sich Wolters zu seinem eigenen Erschrecken wirklich wie ein Pascha vor.
Die Mutter meiner Kinder, dachte er, attraktiv, voll in der Blüte, eine herrliche Frau, auf die man Festungen bauen kann, ein Kamerad wie kein zweiter, eine Geliebte (das behalten wir aber schön für uns, ganz tief im Herzen!) – und überhaupt ein Mensch, ohne den ich kaum noch lebensfähig wäre … Und daneben die blonde, unbekümmerte Jugend. Glockenhelles Lachen, lange Beine, ein Blick aus blauen Augen, der bis in die Zehenspitzen kitzelt, ein Händedruck, der ein Streicheln ist, eine Körperbewegung, die an geheimste Wünsche rührt. Hermann Wolters, denk nicht daran, wie schnell fünf Wochen vorbei sind!
An diesem Tag, wo das Kollegengespräch im Lehrerzimmer stattgefunden hatte, kam Wolters ziemlich mißmutig nach Hause und fand die Familie um den Tisch versammelt. Man wartete mit dem Mittagessen auf ihn.
»Verzeihung«, sagte er brummig. »Die Kollegen hatten noch alle möglichen Dinge vor den Ferien zu besprechen. Drei Nachprüfungen nach dem Urlaub, wegen Krankheit … Immer derselbe Kram. Mahlzeit!«
Er setzte sich und nahm erst jetzt wahr, daß auch Walter am Tisch hockte. Er hatte ein geschwollenes, gerötetes Auge. Das linke.
»Wo wurde denn heute demonstriert?« fragte Wolters. »Kennst du den Namen des Polizisten, dem du dein Veilchen verdankst? Ich möchte ihm dafür danken.«
»Nix Polizist!« rief Manfred hell. »Ibos volle Coladose!«
»Es ist aus.« Walter legte die geballten Fäuste auf das Tischtuch. »Endgültig aus. Ihr könnt zufrieden sein. Bei den Wolters' ist der bürgerliche Mief gerettet. Es gibt keine Ingeborg mehr.«
»In eurer Gesellschaft erledigt man so was mit Coladosen?« meinte Wolters anzüglich. »Das sollte man in die Werbung einbauen.«
»Mein Gott, Ibo hat eben mal wieder durchgedreht.«
»Deine Mutter hat noch nie mit Cola nach mir geworfen.«
»Vielleicht nur, weil mir Cola zu süß ist«, sagte Dorothea ruhig.
Gabi quietschte laut, Manfred brüllte vor Vergnügen, und Eva lächelte sonnig. Selbst Walter grinste etwas gequält. Wolters fand die Bemerkung seiner Frau allerdings gar nicht witzig, zog die Gemüseschüssel zu sich heran und tat sich Kohlrabi auf. Humor ist eine zwiespältige Angelegenheit; ihn verbreiten ist etwas anderes, als ihn ertragen.
Es stellte sich im Verlauf des Mittagessens heraus, daß Ingeborg der Geduldsfaden gerissen war und nicht Walter, als er am Vorabend unvermutet bei ihr aufgetaucht war. Sie hatte ihn hinausgeworfen, was Walter
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