Mit Familienanschluß
sehen, wie diese Familie demonstriert, daß zwar alles gut und schön, aber nicht bestens ist und daß ein braungebrannter Jüngling mit weißen Raubtierzähnen mehr Eindruck hinterläßt als der hart schuftende Ehemann!
In diesem Augenblick beschloß Hermann Wolters, sich die knappste Badehose zu kaufen, die es in Diano Marina gab, und so lange in der Sonne zu braten, bis er so braun war wie die Männer auf den Werbeanzeigen für Sonnencremes.
Auch ich kann anders, Dorothea, dachte er. Auch ich! Euch werden noch die Augen übergehen.
VII
Strandleben macht hungrig. Frische Meeresluft schlägt sich auf die Magenwände und auf die Geschmacksnerven der Zunge nieder. Man könnte vor Hunger die Sonnenschirme anknabbern.
Dagegen gibt es natürlich ein probates Mittel: essen. Nicht umsonst bestehen Seebäder zu siebzig Prozent aus Restaurants, Bars und Kiosken mit Erfrischungen. Ein Spaziergang durch eine mit einem Badestrand gesegnete Ortschaft ist ein Hürdenlauf über lockende Speisekarten. Das Wasser, das man sich gerade abgetrocknet hat, läuft einem im Mund wieder zusammen. Der einzige Nachteil besteht darin, daß das Essen in besonders stark frequentierten Seebädern mittlerweile einen Preisstand erreicht hat, als seien alle Gäste direkte Abkommen texanischer Ölmillionäre.
Ein Studienrat mit einem Anhang von vier Erwachsenen und einem halbwüchsigen Sohn, der naturgemäß für zwei ißt, ist da bitter dran.
Fünf Wochen lang Mittag- und Abendessen in einem Restaurant – und sei es auch nur ein rustikales Fischlokal, wo es in der Fritteuse gebackene Fischstäbchen oder Fischfilets gibt – ist für einen solchen Menschen unerschwinglich. Man verpflege einmal sieben Personen (Manfred zweimal gerechnet!) jeden Tag außer Haus! Da ein Studienrat als sogenannter Geistesschaffender kaum in der Lage ist, Schwarzarbeit zu leisten, fallen alle Diskussionen über dieses Thema aus. Man kann sieben Personen nicht permanent an einem Gasthaustisch sitzen lassen, ohne spätestens in zwei Wochen den Fünf-Wochen-Urlaub mangels Geldes abbrechen zu müssen.
Hermann Wolters hatte das längst errechnet, als Manfred zu ihm kam und sagte: »Paps, ich habe Hunger. Wann gehen wir essen?«
»Wieso hast du Hunger?« fragte Wolters. Wenn ein Mensch unsicher ist, beantwortet er eine Frage immer mit einer Gegenfrage, in der Hoffnung, sein Gegenüber könne darauf keine Antwort geben, womit die eigene Unsicherheit überspielt ist.
»Ich habe zehn Liter Wasser geschluckt und habe jetzt Hunger!« erklärte Manfred mit Nachdruck.
»Wer zehn Liter Wasser im Bauch hat, ist satt!«
»Fünf sind wieder rausgekommen …«
»Die restlichen fünf genügen auch.«
Manfred verzichtete auf weitere Erklärungen. Wenn sein Vater in dieser Art argumentierte, war jeder Widerspruch sinnlos. Also ging Manfred lieber zu Dorothea, die nun in einem großen Kreis Ball spielte. Drei Männer waren es inzwischen, dazu Eva, Gabi und Walter. Dorothea fing die Bälle oder hüpfte ihnen nach, als sei sie ein Fohlen, und hörte erst auf, als Manfred sie am Arm faßte und zur Seite zog, um mit ihr über seinen nicht mehr erträglichen Hunger zu verhandeln.
Mütter rechnen nicht … Sie hören nur, daß ihr Kind leidet. Dorothea ging zu Wolters zurück, der einsam auf den ausgebreiteten Badetüchern lag und tapfer in der Sonne briet. Er hatte den Hut über das Gesicht gezogen und ähnelte mit seinen auf der Brust gefalteten Händen einem Aufgebahrten.
»Manfred hat so'n Hunger«, sagte Dorothea und kniete sich neben Wolters hin.
»Er hat immer Hunger, auch wenn er ein ganzes Eisbein gegessen hat …«
»Ehrlich gesagt, ich habe auch Hunger. Es braucht ja kein Eisbein zu sein. Ein scaloppina di vitello reicht auch.«
»Ein was?« Wolters schob seinen Hut vom Gesicht. Dorotheas Anblick war so sonnenhell, daß er schneller atmen mußte.
»Ein Kalbsschnitzel.«
»Ich sehe, daß deine Italienischkenntnisse große Fortschritte machen. Was lernt man noch bei den Schwarzgelockten?«
»Werd bitte nicht blöd, Muckel!« erwiderte Dorothea abweisend. »Gabi kichert schon über dein Benehmen.«
»Die kann eine hinter die Ohren haben!«
»Davon wird dein Benehmen nicht besser. Warum spielst du nicht mit?«
»Ich soll so saudumm hinter einem Ball herrennen?«
»Mein lieber Fachmann für Geschichte: Im Altertum waren die Sportler ebenso angesehen wie die Künstler. Was ist nach der Venus von Milo das berühmteste Kunstwerk der Antike? Die Statue des
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