Mit Familienanschluß
kann mich erinnern, meine Liebe«, fuhr er, an Dorothea gewandt, fort, »daß du sonst schon in leichte Panik gerietest, wenn du zu Hause im Unterrock herumliefst und dich vielleicht jemand Fremdes durch das offene Fenster zufällig sehen konnte. Hier gehört Anstarren anscheinend zur Erholung.«
»Der Strand ist für jeden da«, erwiderte Dorothea gleichmütig. »Wenn die Herren sich sonnen wollen …«
»Mit Blickrichtung zu euch! Auf dem Bauch liegend!«
»Auch der Rücken soll braun werden«, sagte Gabi frech. Es ist furchtbar frustrierend, einen Vater zu haben, der Sittlichkeit ausschwitzt, aber bei Eva mit den Augen rollt.
»Dann wollen wir auch mal braun werden«, verkündete Wolters laut. »Rückt mal ein bißchen zusammen.«
Er legte sich neben Dorothea, streckte sich aus und fixierte die Jünglinge wie ein Scharfschütze, der sein Ziel sucht. Dorothea setzte sich auf, klopfte auf seinen Rücken, was er als ausgesprochen provozierend empfand, und sagte:
»Du kannst doch die pralle Sonne nicht vertragen, Muckel.«
»Du siehst, es geht!« So knurrt ein Hund, dem man den Knochen wegnehmen will.
»An der Nordsee hast du immer gesagt …«
»Hier ist das Mittelmeer!!«
»Um so stärker brennt die Sonne.«
»Ich kann keine pralle Sonne auf meinem Kopf vertragen!« sagte Wolters wütend. »Wie du siehst, habe ich einen Hut auf.«
»Du wirst einen Sonnenbrand bekommen.«
»Ich habe eine normale Haut! Oder wollt ihr mich hier weghaben?«
Darauf eine Antwort zu geben, war schier unmöglich. Aber Wolters' kämpferische Aktionen zeitigten den ersten Erfolg. Die menschliche Mauer bröckelte ab. Die Muskelgestalten erhoben sich und pilgerten am Strand weiter. Außerdem kam Walter aus der Stadt zurück, finster blickend und ohne Film, den zu kaufen er ja angeblich weggegangen war. Der letzte Belagerer machte sich davon.
»Gut, daß du kommst, Walter!« Hermann Wolters ertrug tapfer die Hitze. Es war seit vierzehn Jahren das erstemal, daß er wieder in der prallen Sonne lag. Zuletzt war das auf Norderney gewesen, wo sie zehn Tage lang keinen Strandkorb bekommen hatten, weil alle besetzt oder vorbestellt gewesen waren. An den Sonnenbrand von damals dachte Wolters bei jedem Ferienbeginn. »Man hat Mami belästigt.«
»Das ist nicht wahr!« Dorothea schob die Arme unter ihren Nacken. Sie wirkte so jung in ihrem modernen, einfarbigen Einteiler, daß Wolters sich plötzlich uralt vorkam.
Ein Rundblick überzeugte ihn, daß Schwimmshorts nur beleibte, alte Männer trugen. Die anderen gingen in knappen, fast dreieckigen Höschen spazieren, die – nach Ansicht von Wolters – beinahe überflüssig waren, da sie ja doch nichts verbargen. Noch schreckte er davor zurück, sich auch solch eine Badehose zu kaufen. Er fand das exhibitionistisch und konnte sich nicht dazu durchringen, der Zunft der Entblößer beizutreten.
»Wieso nicht?« erwiderte er auf Dorotheas Bemerkung. »Hier lagerte eine Legion von Römern, als gälte es, den Teutoburger Wald zu erobern.«
»Und da kam Hermann der Cherusker und vertrieb sie!« sagte Gabi aufmüpfig.
Dorothea lachte, was Wolters sehr unpassend fand. Außerdem bemerkte er, daß er von seinem Sohn Walter keine Unterstützung erhielt. Der starrte über das Meer, als suche er Land wie weiland Kolumbus.
Bevor es zu einer Diskussion kam, unterbrachen zwei Ereignisse das drohende väterliche Donnerwetter. Eine Welle warf Manfred um, er schluckte Wasser und kam nicht mehr auf die Beine, worauf einer der Muskelmänner ihn auffischte, an Land trug und der Familie zurückbrachte.
Zum anderen prallte ein dicker Gummiball gegen Dorothea. Zwei fröhliche Männer stürmten heran, übersahen Wolters, warfen den abgeprallten Ball Dorothea zu und begannen so, ganz zwanglos, ein Spiel.
Hermann Wolters kam in Not. Die Höflichkeit befahl, sich bei Manfreds Retter zu bedanken, zumal Eva schon bei ihm war und mit ihm sprach. Manfred stand längst wieder auf den Beinen und spuckte das heruntergeschluckte Meerwasser aus. Auf der anderen Seite tobte Dorothea wie ein junges Mädchen mit den beiden Männern herum, fing den Ball, warf ihn zurück und lachte hell, so hell, wie Wolters es seit Jahren nicht mehr gehört hatte.
Irgendwie erfüllte ihn das mit Bitterkeit.
So ist das also, dachte er. Sein ganzes Leben lang rackert man sich ab, hat drei Kinder in die Welt gesetzt, lebt nur für die Familie, kennt nichts als das traute Zusammensein, ist solide wie ein Schmiedehammer – und dann muß man
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