Mit Familienanschluß
Diskuswerfers.«
»Ich werfe keinen Diskus. Damit begann übrigens der Untergang der Weltreiche: mit der Verherrlichung der Muskeln statt des Geistes. Dazu die Dekadenz der Gesellschaft … Erschreckende aktuelle Parallelen sind das …«
»Du lieber Himmel, hat Walter dich reformiert?«
»Man kann mit euch nicht vernünftig reden!«
»Doch! Wir haben alle Hunger. Alle! Auch Eva …«
Wolters erkannte die Falle sofort und verhielt sich neutral. Er richtete sich nur auf und blickte hinüber zu dem Kreis junger Leute am Meer, die sich den Ball zuwarfen und ein Bild der Lebenslust boten.
»Ich habe ausgerechnet …«, begann Wolters, aber Dorothea unterbrach ihn sofort.
»O Gott, wenn du so anfängst, werden das fünf Wochen Null-Diät!«
»Du hast einen Studienrat geheiratet und keinen Rockefeller-Erben!«
»Das höre ich nun schon zwanzig Jahre lang.«
»Und dabei wird es bleiben. Als Beamter habe ich meinen fest umrissenen Lebensstandard, der sich durch das kaum steigende Gehalt auch nur wenig ändern wird. Wenn wir essen gehen, fünf Wochen lang, werden wir uns abseits von allen Menschen an ein steiniges Uferstück quetschen müssen, weil wir die Liegestühle nicht mehr bezahlen können! Der Mietpreis ist ja inflationär! Also was wollt ihr? Liegestühle oder hopplabina …«
»Scaloppina …«
»Entscheidet euch!«
»Ist wenigstens ein Eis mit Waffeln drin?«
»Das ja! Was kostet es?«
»Achthundert Lire …« Dorothea machte eine bedeutungsvolle Pause. »Pro Eis.«
»Das sind ja 4.800 Lire!«
»Eismänner wollen auch leben. Eine Cola oder eine Orangeade sind im Verhältnis noch teurer.«
»Wir werden umdenken müssen«, meinte Wolters nachdenklich. »Ich werde einen genauen Plan aufstellen und das Geld für jeden Tag zuteilen. Pro Tag soundsoviel – und keinen Pfennig darüber. Wer Sondergelüste hat, darf am Daumen lutschen. Wir haben ein Ferienhaus mit Küche – das ist der Mittelpunkt, vor allem bei der Verpflegung.«
Manfred schien damit gerechnet zu haben, daß seine Mutter mit ihren Interventionen Erfolg hatte. Das Ballspiel wurde gerade eingestellt, und die Familie kehrte zu Hermann Wolters zurück.
»Was höre ich?« rief Walter schon von weitem. »Es gibt endlich einen Teller voll mit ossobucco?«
»Was ist denn das schon wieder?« Wolters erhob sich und schob seinen Hut gerade.
»Kalbshaxe«, sagte Eva Aurich.
»Unterhält man sich beim Ballspiel eigentlich nur über das Essen? Um es vorweg zu nehmen: Wir essen heute abend zu Hause. Wozu haben wir zwanzig Konservendosen mitgenommen? Mami kauft nachher Nudeln und Kartoffeln ein, frischen Salat und Obst, und dann werden wir oben auf der Terrasse sitzen, mit Blick über Stadt und Meer, der Himmel wird von der untergehenden Sonne brennen, wir werden eine Flasche Chianti trinken …«
»Die Ziegen werden stinken …«, warf Gabi frech ein.
»Ich stelle fest, daß meine Kinder verblöden!« sagte Wolters böse. »Jetzt gibt es für jeden ein Eis und damit basta!«
Es gibt zwei Möglichkeiten, am Strand ein Eis zu schlecken. Einmal kommt ein Eismann mit einem Eiswagen herangefahren und bedient die Liegestuhlreihen, zum anderen geht man zu einem Kiosk, der alles das hat, was man am Meer braucht. Vor allem junge Männer, die darauf warten, daß hübsche Mädchen Durst haben.
Der Anmarsch der Familie Wolters wurde schon von weitem mit Wohlgefallen wahrgenommen. Es war wie jedesmal und würde sich auch täglich wiederholen: Wo die Wolters-Damen erschienen, reckten sich die Männerhälse aller Altersstufen. Das war verständlich, denn die drei boten angesichts der Massierung von Wohlstandsfiguren einen Anblick von wohltuender Ästhetik.
»Wie herrlich wäre die Riviera ohne diese Kerle!« sagte Wolters bitter. »Muß das eigentlich sein? An der Nordsee gibt es doch so was auch nicht.«
»Da haben wir's«, flüsterte Gabi ihrer Mutter von hinten ins Ohr. Sie standen an der Eistheke an und bemühten sich, die Papagalli nicht anzublicken. »In den nächsten Ferien geht es wieder an die Nordsee. Wetten?«
»Du weißt doch, wie Paps ist.« Dorothea blickte starr geradeaus. Ein sportlicher, großer Herr mit grauen Schläfen, Typ italienischer Großindustrieller, blinzelte ihr zu, völlig ungehemmt und mit blitzenden Augen. Wolters stand nicht in der Reihe. Er hatte keinen Appetit auf Eis, er sehnte sich nach einem kühlen Bier, und das stand im Kühlschrank des Ferienhauses. Bier am Kiosk war ihm zu teuer. Konsequent zahlte er keine
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