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Mit Fünfen ist man kinderreich

Mit Fünfen ist man kinderreich

Titel: Mit Fünfen ist man kinderreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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abendliche Stille allenfalls ein Hund, der den Mond anbellte, oder ein Fensterladen, der geräuschvoll zugeklappt wurde. Mit Beginn der Erntezeit änderte sich das schlagartig und führte die deutsche Lesebuch-Idylle vom dörflichen Abendfrieden ad absurdum.
    Morgens um fünf ging es schon los. Da ratterte der erste Traktor den Hohlweg hinter unserem Haus vorbei, in unregelmäßigen Abständen folgten die nächsten, dann wurden muhende Kühe auf die Weide getrieben, manchmal waren es auch Schafe, die blökten noch lauter, zwischendurch keuchte ein altersschwacher Lastwagen die Steigung herauf, jaulte kurz auf und klapperte weiter, dann kam der Bauer vom Aussiedlerhof mit einem Dutzend scheppernder Milchkannen… und lange nach Sonnenuntergang wiederholte sich das Spiel in umgekehrter Reihenfolge. Erst kam der Bauer, dann kamen die Kühe und dann die Trecker.
    Eines Abends hörten wir ein fremdes Geräusch, das klang wie zehn Traktoren zusammen, vermischt mit einem eigenartigen Knirschen und untermalt von schrillen Pfeiftönen. Alles stürzte los, und wir kamen gerade noch rechtzeitig, um ein abenteuerlich beleuchtetes feuerrotes Monstrum zu bestaunen.
    »Is bloß'n Mähdrescher«, beruhigte uns Sven, »jetzt ist wohl das Weizenfeld da drüben dran.«
    »Mitten in der Nacht?«
    »Die Dinger werden doch stundenweise vermietet, und wenn es nicht anders geht, wird es auch nachts eingesetzt. Hat ja Scheinwerfer.«
    Das Feld ›da drüben‹ war knapp zweihundert Meter entfernt, der Mähdrescher in Aktion noch entschieden geräuschvoller als im Ruhestand, und kurz vor Mitternacht konnten wir endlich schlafen gehen. Die anderen Felder in unmittelbarer Nachbarschaft waren zum Glück mit Zuckerrüben bepflanzt.
    Nach der Ernte ging es weiter. Jetzt wurden die Felder umgepflügt, geeggt (eine vorbeifahrende Egge macht ungefähr den gleichen Krach wie ein halbes Dutzend schrottreifer Fahrräder, die man auf eine Schüttelrutsche gelegt hat), gedüngt (in Heidenberg bevorzugte man Naturdünger, und manchmal konnten wir stundenlang kein Fenster öffnen), neu eingesät, und ich weiß nicht, was noch alles. Erst im Winter wurde es ruhig, aber dann kam der Schneepflug. Wenn er kam!
    Langsam dämmerte mir die Erkenntnis, daß unser Hang zur ländlichen Idylle vielleicht doch ein bißchen übertrieben war, zumal unser Haus auch nicht das hielt, was es bei der ersten Besichtigung versprochen hatte. Zugegeben, es sah sehr eindrucksvoll aus mit der großen Terrasse, dem zur Straße hin abfallenden Garten und vor allem der riesigen Fensterfront. Aber wer einmal versucht hat, oben am Hang die Rosen vor dem Verdursten zu schützen, während sich unten bei den Astern ein Morast bildet, der lernt ziemlich schnell ebene Flächen zu schätzen. Wenigstens erreichte unsere Wasserrechnung keine astronomischen Höhen. In ganz Heidenberg gab es keine einzige Wasseruhr; man zahlte eine Jahrespauschale und konnte so viel Wasser verbrauchen, wie man wollte. Vorausgesetzt, man hatte welches! Unser ländliches Zwischenspiel fand statt in einem jener heute so legendären Sommer, in denen es wochenlang nicht regnete, Rasensprengen und Wagenwaschen durch Regierungsdekret verboten waren und in sämtlichen Talsperren Ebbe herrschte. Ich weiß nicht, woher Heidenberg sein Trinkwasser bezog, jedenfalls waren wir auf unserem Hügel immer die ersten, bei denen es versiegte. Manchmal bemerkte ich den nachlassenden Wasserdruck in der Küche noch frühzeitig genug, um im unteren Stockwerk die Badewanne vollaufen zu lassen – da tröpfelte es noch, wenn oben nichts mehr aus der Leitung kam –, aber meistens saßen wir auf dem trockenen und mußten das kostbare Naß eimerweise von tieferliegenden Häusern heranschleppen. Zum Zähneputzen und Kaffeekochen benutzten wir Selterswasser, und die Waschmaschine setzte ich vor dem Schlafengehen in Betrieb, denn nachts funktionierte die Wasserzufuhr. Sascha transportierte übrigens als einziger ohne Murren sein vorgeschriebenes Quantum an Wassereimern, wußte er doch, daß nur ein geringer Teil davon zur täglichen Körperpflege vorgesehen war.
    Trotz alledem hatte das Haus auch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Es gab haufenweise Platz. Jedes Kind hatte sein eigenes Zimmer, wir verfügten über zwei Bäder und vier Toiletten, hatten genügend Abstellfläche für Schuhschränke, Regale und die hundert Kleinigkeiten, die man normalerweise nie richtig unterbringen kann. Sogar für Rolf gab es neben dem üblichen

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