Mit Fünfen ist man kinderreich
schon beinahe weggelotst hatte, drückte mir der Bürgermeister plötzlich die Hand und versicherte in schönstem Honoratioren-Schwäbisch: »Ihr Herr Gatte ischt eine wäsentliche Bereicherung für die Gemeinde!«
(Die Bezeichnung ›Frau Gattin‹ hatte ich schon öfter gehört, aber ›Herr Gatte‹ war mir neu.)
Mein Scheich wollte vor dem Nachhausegehen noch ein Glas Sekt trinken. Die Sektbar hatte schon zu.
»Dann trinken wir eben noch ein Viertele!« Er steuerte die Theke an, wo bereits die halbe Feuerwehrkapelle hockte und Ännchen von Tharau sang. Die restlichen Musiker packten ihre Instrumente ein, nur der Trompeter stand mitten auf der Tanzfläche und blies schließlich hingebungsvoll den Mitternachts-Blues. Jeder fünfte Ton war falsch! Wenzel-Berta, das Chiffon-Violette hochgeschürzt, steuerte quer durch den Saal, Richtung Ausgang, Eugen im Zickzackkurs hinterher. Frau Kroiher, stimmgewaltiges Mitglied des Aufelder Kirchenchores, fühlte sich plötzlich zur Solistin berufen und sang Wanderlieder.
Als Rolf den Wunsch äußerte, jetzt Posaune spielen zu wollen, drängte ich zum Aufbruch. Mein Herr Gatte hatte keine Lust.
»Erst muß ich noch mit meinem Freund, dem Bürgermeister, Brüderschaft trinken!« verkündete er.
Der Bürgermeister war Gott sei Dank schon gegangen.
Plötzlich hatte der Scheich auch genug. »Ich gehejetzt zu meinen Ölquellen«, erklärte er den erstaunten Feuerwehrleuten und begab sich zum Ausgang. Mich hatte er offenbar völlig vergessen.
Mein Herr und Gebieter schlief schon fest, als ich endlich die ganze Schminke aus dem Gesicht gewischt und die Überreste von Konfetti aus den Haaren gebürstet hatte.
Abschließend bliebe noch zu bemerken, daß auch die orientalische Nacht meine Abneigung gegen Faschingsveranstaltungen keineswegs verringert hat.
Das reichlich lädierte Nachthemd requirierte übrigens Stefanie. Sie schnitt kurzerhand einen halben Meter davon ab und verwendete den Rest je nach Bedarf als Brautrobe, Krönungsgewand oder als Taufkleid für ihre Teddybären.
13
Mir ist weder früher noch in den darauffolgenden Jahren ein Winter so lang erschienen wie dieser eine in Heidenberg. Während der Weihnachtstage hatte es zwar geregnet, aber kurze Zeit später kam ein neuer Kälteeinbruch mit starkem Schneefall, und meine freiwilligen Straßenkehrer stellten nach und nach ihr menschenfreundliches Werk ein. Kakao reichte als Belohnung nicht mehr aus, jetzt wollten sie Bares sehen. Ich zahlte notgedrungen Stunden- und manchmal auch Akkordlöhne und wartete auf Tauwetter. Als es endlich einsetzte, verwandelte sich unsere ›Straße‹ in ein munter plätscherndes Bächlein, denn nun taute auch die Schneedecke im Garten weg, und das ganze Schmelzwasser floß bergab. Wir legten meterlange Bretter aus, die Sascha von einer Baustelle organisiert hatte, und kamen uns vor wie die Einwohner Venedigs bei Hochwasser.
Neben der Haustür standen sieben Paar Gummistiefel, und wenn wir mit dem Auto in zivilisiertere Gebiete fuhren, schleppten wir in Plastiktüten normale Schuhe zum Wechseln mit. Manchmal vergaß ich die aber auch und marschierte dann mit zusammengebissenen Zähnen in kanariengelben Gummistiefeln durch Großstadtstraßen. Auf allen Heizkörpern im Haus hingen Hosen, Handschuhe, Pullover und Schals zum Trocknen, denn es war nahezu unmöglich, unseren glitschigen Hügel ohne Ausrutscher zu erklimmen, und immer schrie irgend jemand nach trockenen Sachen. Die Zwillinge – inzwischen recht flink auf den Beinen und wahre Frischluftfanatiker – mischten schon fröhlich mit und mußten an manchen Tagen bis zu sechsmal umgezogen werden.
Nein, also ich war vom Winter auf dem Lande restlos bedient und begrüßte den ersten Krokus, der zaghaft sein Köpfchen durch die dünne Schneedecke schob, mit einem wahren Freudengeheul. Am nächsten Tag war der Krokus verschwunden und die Schneedecke wieder dicker. Dabei hatten wir doch schon März, und jetzt hatte gefälligst der Frühling zu kommen!
Zunächst kam aber Tante Lotti. Ich glaube, in jeder Familie gibt es eine Tante Lotti, also eine ältere Dame ohne näheren Anhang, die mehr oder weniger regelmäßig die ihr noch verbliebene Verwandtschaft heimsucht. Sie will nur drei Tage bleiben, bleibt dann aber drei Wochen und ist oft erst durch unverblümte Anspielungen wieder zum Abreisen zu bewegen.
Unsere Tante Lotti gehört schon gar nicht mehr zur Verwandtschaft – ich glaube, sie ist eine Kusine meiner Großmutter –,
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