Mit Haut und Haar (German Edition)
nach Hause, geh du mit den beiden Briefen zur Polizei und lass dich beraten, okay? Wir reden heute Abend. Reg dich nicht mehr auf, ja?«
»Ich versuche es«, sagte Clarissa. Sie legte auf. Mehr als sonst war ihr jetzt danach, Patrizias Stimme zu hören, aber sie verkniff sich diesen Anruf. Immer noch war sie der Meinung, sie sollte den Kontakt zu ihr möglichst auf Sparflamme halten, und sei es nur um ihr nicht noch mehr weh zu tun. Zwei Stunden später machte sie sich auf den Weg in das nächste Polizeirevier um Anzeige gegen unbekannt zu erstatten. Die zwei Beamten, die sich zunächst sofort um sie bemüht hatten, als sie auf dem Revier erschienen war, zeigten sich beim Anblick der zwei anonymen Briefe eher gelangweilt.
»Und Sie denken nicht, dass es ein dummer Streich sein könnte?« fragte einer der beiden Beamten, der sich ihr als Herr Meierhofer vorgestellt hatte.
»Das weiß ich nicht«, erklärte Clarissa. »Aber sicher verstehen Sie, dass mir so etwas Angst macht, oder?«
»Natürlich«, sagte Meierhofer. Sein Kollege verzog sich im gleichen Moment aus dem Büro. Der Fall war es wohl nicht wert, dass sich gleich zwei Beamte darum bemühen sollten.
»Also, was denken Sie, was wir jetzt tun könnten?« fragte der Beamte.
»Keine Ahnung«, antwortete Clarissa. »Aber wie sieht es aus mit einer Anzeige gegen Unbekannt?«
»Sicher, das können wir aufnehmen. Aber was haben Sie davon? Sehen Sie, die Sache ist so ... wir nehmen jetzt eine Anzeige auf gegen Unbekannt. Letztlich wird nicht viel passieren damit. Wir legen eine Akte an für diese Sache, und falls noch mal ein weiterer Brief kommen sollte, wird der hinzugefügt. Aber solange nicht wirklich etwas passiert, können wir nichts tun.«
Clarissa lehnte sich zurück. »Sie können nichts tun?«
Meierhofer schüttelte den Kopf.
»Aber hier liegen Ihnen zwei Briefe vor, die mir anonym zugestellt wurden. Ich fühle mich bedroht.«
»Ja, aber es ist nicht wirklich etwas passiert, verstehen Sie?«
»Muss einem in diesem Land erst einmal etwas passieren, bevor die Polizei eingreift?« fragte Clarissa. Sie war leicht erbost.
Meierhofer nickte. »Das ist die aktuelle Gesetzeslage, die ich auch persönlich nicht immer richtig finde, aber es ist nun mal so. Was sollten wir Ihrer Meinung nach tun?« Er sah sich die Umschläge an, in denen die Briefe versendet worden waren.
»Sollen wir jetzt sämtliche Briefkästen und Postämter in Bonn überwachen lassen und Ausschau halten, wer einen solchen Brief irgendwo einwirft?«
»Was ist mit Fingerabdrücken?«
Meierhofer lachte. »Ihre eigenen Fingerabdrücke finden sich darauf bestimmt wieder«, sagte er. »Außerdem bestimmt auch die von den Sortierern im Zustellzentrum. Und die vom Postboten. Ob der Schreiber Fingerabdrücke hinterlassen hat, stelle ich infrage. Wenn er schlau war, hat er Handschuhe getragen und das Papier gründlich abgewischt. Ebenso wie den Umschlag.«
Er lächelte, und offenbar wollte er Clarissa beruhigen. »Schauen Sie, wenn diese beiden Briefe die einzigen Indizien in einem Mordfall wären, dann würde man sich eine Menge Mühe machen. Man könnte das Papier genauer untersuchen, man könnte nach Fingerabdrücken suchen, und ganz sicher haben unsere Spezialisten da noch mehr Möglichkeiten, die sie einsetzen würden – von denen ich ehrlich gesagt als einfacher Polizist keine Ahnung habe. Ich schau mir auch Krimis im Fernsehen an und ich weiß, dass die Kriminalistik über eine Menge Mittel verfügt. Aber die sind kostspielig und werden nicht auf Grund von zwei anonymen Briefen eingesetzt. Es ist ja kein Verbrechen passiert.«
»Das kann doch nicht wahr sein«, sagte Clarissa. »Wissen Sie was? Ich fühle mich bedroht. Ganz ehrlich. Ich habe mir hier Hilfe erhofft und Sie sagen mir, Sie können erst wirklich etwas tun, wenn etwas passiert ist?«
Meierhofer beugte sich ein wenig nach vorne. »Frau Ostermann, wir wollen jetzt mal realistisch sein. Sie haben zwei Briefe bekommen, die vom Inhalt her zugegebenermaßen nicht schön sind und möglicherweise auf Sie beängstigend wirken. Aber erfahrungsgemäß sind Leute, die sich zu solchen anonymen Aktionen hinreißen lassen, feige. Ich denke, Sie werden vielleicht noch ein paar Briefe dieser Art bekommen und das war es dann. Irgendwann hört es auf. Glauben Sie mir.«
»Und wenn nicht? Und wenn doch noch etwas Schlimmes passiert?«
Meierhofer lehnte sich zurück. »Frau Ostermann, bitte denken Sie nicht, dass ich Ihre Besorgnis nicht
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