Mit Herz und Skalpell
und machte ihr Platz. »Schön, dich endlich mal wiederzusehen. Ich habe gehört, du hast hier in der Viszeralchirurgie angefangen?«
Linda nickte. »Genau. Und du bist tatsächlich in der Neurologie gelandet?« Sie hatte noch in Erinnerung, dass das schon lange Karinas Plan gewesen war.
»Ja, vor drei Monaten«, erklärte Lindas ehemalige Kommilitonin. Im Studium hatten die beiden viel Zeit miteinander verbracht, aber im Gegensatz zu Linda hatte Karina nach ihrem Examen direkt eine Stelle angetreten, und im Laufe der letzten Monate hatten sich die beiden etwas aus den Augen verloren. Umso mehr freute sich Linda, ihre alte Freundin wiederzutreffen.
»Und wie gefällt es dir?«, fragte Linda.
Sie sprachen eine Weile über Karinas erste Arbeitstage und stellten fest, dass sie ganz ähnliche Probleme hatten. Aber Karina gefiel es ebenso wie Linda gut, und es machte ihr Spaß.
Linda rührte in ihrem Erbseneintopf. »Du wärst wirklich der Traum einer Tochter für meinen Vater. Immer strebsam und erfolgreich. Auf dem direkten Weg zum Ziel.«
Karina lachte. »Jetzt übertreib mal nicht.«
Linda stimmte in das Lachen ein. »Aber ich meine das ernst. Er fand immer, dass ich mir ein Beispiel an dir nehmen soll – seit ich dich kenne und zu Hause von dir erzählt habe.« Sie nahm einen Löffel Suppe. »Nur deine Fächerwahl wäre nicht ganz nach seinem Geschmack«, meinte sie mit vollem Mund.
»Hätte ich Neurochirurgin werden sollen?« Karina rümpfte die Nase.
»Was denn sonst? Das ist das einzig wahre Fach.« Linda zuckte grinsend mit den Schultern. »Außerdem braucht er dringend jemand, der irgendwann sein Erbe antreten kann, wo ich das schon nicht machen werde.«
»Wie gefällt es dir denn hier?«, erkundigte sich Karina.
»Bis jetzt sehr gut«, sagte Linda. »Ich bin bei Alexandra Kirchhoff auf der Station. Ich glaube, ich kann viel von ihr lernen.«
Karina verschluckte sich beinahe an ihrem Bissen. »Alexandra Kirchhoff?«
Kopfschüttelnd sah Linda sie an. »Du auch noch . . . Warum reagieren denn immer alle so komisch, wenn man ihren Namen erwähnt? Gibt es da etwas, was ich wissen sollte?«
Karina trank bedächtig einen Schluck Cola. »Also . . .«
»Spuck aus, was hast du über sie gehört?«
»Eigentlich habe ich nur gehört, dass sie eine wirklich gute Operateurin und Wissenschaftlerin sein soll. Immer die Erste im Haus und immer die Letzte, die geht. Eine absolute Durchstarterin.« Karina mied Lindas Blick und zupfte an ihrem Ohrläppchen. »Ein wahrer Workaholic.«
»Karina . . .« Linda sah ihrer Kollegin und Freundin fest in die Augen und legte ihren Löffel zur Seite. »Ich kenne dich nun schon über sechs Jahre. Das ist doch nicht alles. Also, mach mir nichts vor. Was hast du noch gehört?«
»Gerüchte. Alles nur Gerüchte.« Karina beugte sich zu Linda vor. Sie war ganz in ihrem Element – das wusste Linda. Schon an der Uni hatte Karina immer über alles und alle Bescheid gewusst. Bei ihr war kein Geheimnis lange sicher. Bedeutungsschwer flüsterte sie: »Sie soll so einiges am Laufen haben. Frauengeschichten. Du verstehst, was ich meine?«
So oft, wie Linda diese Gerüchte nun schon gehört hatte, musste etwas Wahres daran sein. Das konnte sich nicht die gesamte Belegschaft ausdenken, unabhängig voneinander, in verschiedenen Abteilungen. Aber es war absolut nicht das, was sie hatte hören wollen.
»Hm«, war alles, was sie erwiderte.
»Ist sie denn so schlimm, wie man sagt?«, bohrte Karina nach.
»Ich verstehe mich gut mit ihr. Sie ist sehr nett zu mir.«
Karina grinste vielsagend. »Nett also?«
»Nicht so, wie du jetzt denkst.«
Karinas Grinsen wurde noch breiter. »Och.«
»Du bist unmöglich.« Linda verdrehte die Augen und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. In diesem Moment bemerkte sie Melanie, die wenige Tische neben ihnen saß. Als sich ihre Blicke trafen, schenkte Melanie ihr ein herablassendes Lächeln.
»Die hat mir gerade noch gefehlt«, brummte Linda.
»Wer?«
Mit einem Kopfnicken deutete Linda in Melanies Richtung und sagte mit gedämpfter Stimme: »So, allwissende Klatschtante! Wenn du so gut über alles Bescheid weißt, weißt du dann auch, was mit ihr und Alexandra ist?«
»Ach, Melanie Taube.« Karinas Blick war Lindas Geste gefolgt. Nun bildeten sich kleine Fältchen auf ihrer Stirn, als hätte sie über diese Frage selbst schon lange vergeblich nachgedacht. »Ich wünschte, es wäre so. Ich habe gehört, dass es da eine alte Geschichte
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