Mit Herz und Skalpell
sie sich nach Alexandra?
Als Alexandra wieder sprach, klang ihre Stimme völlig unbeteiligt: »Ich schreib dir auf, was wir ändern sollten, dann können wir es drucken lassen.« Sie nahm erneut den Rotstift zur Hand und schrieb etwas auf. Die Professionalität in Person, als habe sich dieser kleine schwache Moment nie ereignet.
Oder hatte Linda sich das alles nur eingebildet – das Knistern zwischen ihnen, diese zunehmende Spannung? War das nur ihr Wunsch gewesen, der ihrer Phantasie einen Streich gespielt hatte?
Nur – warum war das dann eben passiert? Es konnte nicht alles Einbildung gewesen sein, dafür war es zu real gewesen . . . zu körperlich. Wollte Alexandra Linda vielleicht doch?
Aber nein, das konnte nicht sein . . .
»In Ordnung«, presste Linda schließlich mühsam hervor.
Alexandra gab ihr den Ausdruck zurück. »Schick mir einfach die Datei, wenn du die Änderungen eingefügt hast. Ich gebe sie dann an unsere Fotoabteilung weiter.«
Linda nickte. Ihr Hals war trocken und kratzig. Es musste doch alles nur ein Traum gewesen sein, damit hatte sie sich wohl abzufinden. Eine alberne Spinnerei. Sie nahm das Blatt mit zitternden Fingern, stand auf und verließ das Zimmer so schnell, dass sie fast über ihre eigenen Beine stolperte.
Das durfte niemals wieder passieren. Niemals!
Die Tür fiel hinter Linda ins Schloss.
Seufzend lehnte sich Alexandra in ihrem Stuhl zurück. Wie hatte das eben nur geschehen können?
Es war vollkommen unprofessionell von ihr gewesen. Linda war ihre Assistenzärztin, in gewisser Weise ihre Untergebene. Niemand, den man küssen durfte.
Alexandra vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie hatte sich geschworen, dass ihr Privatleben nicht ins Krankenhaus gehörte. Nie wieder.
Aber in diesem Augenblick hatte es sich so richtig angefühlt. Sie hatte sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt.
Wäre Linda nur nicht ihre Mitarbeiterin, dann . . .
Unsinn, ermahnte Alexandra sich selbst.
Auch dann wäre Linda zu jung für sie. Und außerdem musste Alexandra sich momentan auf ihre Karriere konzentrieren. Es gab einfach keinen Platz in ihrem Leben für Zärtlichkeit und Beziehungen.
Alexandra zog ihre Schreibtischschublade auf und holte eine kleine Schachtel heraus, der sie eine Schokoladenpraline entnahm. Schokolade war immer ein gutes Heilmittel.
Das Kakaoaroma verströmte sich in ihrem Mund. Herrlich süß und ein klein wenig herb – fast so, wie Lindas Lippen schmecken mussten . . .
Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. Gab es denn keine anderen Gedanken mehr als Linda? Seit Linda bei ihnen angefangen hatte, spukte sie ständig in Alexandras Kopf herum, abends auf der Couch und auch bevor sie schlafen ging . . . Sie schien einfach machtlos dagegen. So sehr sie sich auch bemühte, sich von Linda zu distanzieren, das angemessene professionelle Verhalten an den Tag zu legen – irgendwann wurde sie immer schwach.
Ein Blick in diese klaren, grünen Augen, und es war um sie geschehen. Solche Gefühlsduseleien kannte Alexandra nicht von sich. Sie hatte sich doch sonst immer im Griff. Aber bei Linda funktionierte ihre Selbstbeherrschung nicht. Allein Lindas heitere, fröhliche Art, ihr unerschütterlicher Optimismus ließen Alexandra weich werden wie eine Eiskugel in der Sonne. Sie schmolz einfach dahin.
Noch einmal schlug sie mit voller Wucht auf den Tisch, so dass ihre Schreibtischlampe gefährlich ins Wanken geriet.
Das musste ein Ende haben. Sie war die Oberärztin, Linda die Assistenzärztin, und mit Ausnahme der Arbeit verband sie nichts. Dabei würde es bleiben. Musste es bleiben. Alles andere würde nur unnötig Ärger und Probleme geben. Das war das Letzte, was Alexandra derzeit gebrauchen konnte.
Es war ein Fehler gewesen, ganz klar. Aber wenigstens hatte sie sich gerade noch rechtzeitig zur Räson gebracht.
Das durfte niemals wieder passieren. Niemals!
Wenn Linda nur nicht so bezaubernd wäre . . .
~*~*~*~
L inda stopfte ihre Kosmetiktasche in ihren Koffer. Nur mit großer Mühe bekam sie den Reißverschluss zu – gerade rechtzeitig, bevor es an der Tür klingelte.
Sie atmete einmal tief durch, betätigte den Türöffner und rief in den Hausflur: »Du musst nach ganz oben.« Dann verschwand sie schnell in der Küche, um ein wenig Ordnung zu schaffen und das Chaos vom Frühstück zu beseitigen. Ihr ursprünglicher Plan hatte vorgesehen, dass sie unten an der Straße auf Alexandra warten würde, aber natürlich hatte sie das nicht
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