Mitch - Herz im Dunkeln
Socken mit Spitzenbesatz, eine Baseballkappe, alte Zeitschriften und ein paar Lumpen.
Und ganz unten der Schlüssel zum Schließfach Nummer 101.
Inzwischen war Wes ihm in den Busbahnhof gefolgt. Lucky nahm den Schlüssel und schloss das Schließfach auf.
Es war leer.
Mitchs sogenannte Trickkiste war verschwunden.
„Dieser elende Mistkerl!“ Lucky tobte. „Dieser verdammte Bastard!“
Die übel riechende Frau war Mitch Shaw gewesen.
Es hatte keinen Sinn, nach ihm zu suchen. Ein Mann wie Mitch, ausgebildet für Undercover-Einsätze, war längst über alle Berge. Oder so gut versteckt, dass selbst Lucky und Wes ihn nicht finden konnten.
Wes folgte Lucky zurück zum Van. Schweigend stiegen sie ein.
„Er hat mir direkt ins Gesicht gesehen“, sagte Lucky schließlich und startete, immer noch wütend, den Motor. „Er muss mich erkannt haben! Was zur Hölle geht hier eigentlich vor?“
„Wir müssen den Captain anrufen“, sagte Wes nur. „Ich weiß es nicht, Kumpel, aber vielleicht sollten wir Mitch nicht länger als einen der Unseren betrachten. Möglicherweise wird es Zeit, ihn als Feind einzustufen. Wenn er tatsächlich Verrat begangen haben sollte …“
Lucky konnte ihm nur zustimmen. Das würde ihm nicht leichtfallen. Joe Cat mitzuteilen, dass ihm Mitch Shaw entwischt war, würde ebenfalls nicht leicht werden. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber ich werde dem Captain empfehlen, die FInCOM einzuschalten.“
Becca fuhr im Licht der untergehenden Sonne über Bundesstraßen.
Mitch saß still neben ihr. Zu seinen Füßen stand der Lederkoffer, den er in dem Schließfach im Busbahnhof gefunden hatte.
Seit Beccas kleinem Geständnis im Motelzimmer hatte er kaum mehr als zwanzig Worte mit ihr gesprochen. Und drei von diesen Worten waren eine Entschuldigung gewesen. Es war kaum zu glauben: Sie gestand ihm ihre Liebe, und er bat sie um Verzeihung. Das war seine ganze Reaktion darauf. Aber wahrscheinlich war das ganz gut so. Denn was hätte sie getan, wenn er ihr im Gegenzug seine Liebe gestanden hätte? Das wollte sie sich lieber nicht ausmalen.
Im Grunde wollte sie nämlich nicht, dass er sie liebte. Selbst wenn er nur ein einfacher Ranchhelfer wäre, ein ganz normaler Mann; selbst wenn er nicht mit Amnesie und einer Schussverletzung – ja, und mit einem Priesterkragen – zu ihr gekommen wäre: Sie würde seine Liebe nicht wollen.
Liebe war eine viel zu riskante Angelegenheit. Viel zu unsicher. In ihre Zukunft wollte sie einen derartigen Unsicherheitsfaktor jedenfalls nicht einplanen. Was wäre, wenn er irgendwann aufhörte, sie zu lieben?
Mitch bedauerte, dass sie ihn liebte. Und ihr tat es auch leid. Aber wenigstens wusste sie, was die Zukunft für sie bereithielt. Sie wusste, dass Mitch früher oder später fortgehen würde. Vermutlich früher, so wie die Dinge standen. Sie würde ihn vermissen. Sie vermisste ihn jetzt schon. In dem Moment, als sie den Priesterkragen gesehen hatte, hatte sich ihre Beziehung drastisch verändert. Becca vermisste die Ungezwungenheit, ihn einfach berühren zu können, seine Hand zu nehmen, ihm in die Augen zu sehen und sich die bevorstehende Nacht auszumalen.
Das war jetzt nicht mehr möglich. Ohne zu wissen, wer er wirklich war, konnte sie das nicht mehr.
Die gemeinsame Reise war zu Ende, und schon bald, in wenigen Stunden, würden ihre Wege sich trennen. In den nächsten Wochen oder gar Monaten würde sie sich elend fühlen. Bis sie eines Tages aufwachen und feststellen würde, dass sie ohne Wehmut an ihn denken konnte. Flüchtig würde sie sich fragen, wo er wohl war, und sich lächelnd daran erinnern, wie sich ihre Wege für kurze Zeit gekreuzt hatten.
Doch ehe es so weit war und sie ihn gehen ließ, wollte Becca die Wahrheit wissen. Sie wollte wissen, wer er wirklich war. Und sie ahnte, dass der Inhalt des Koffers sie der Beantwortung dieser Frage einen ganzen Schritt näherbringen würde.
Im Motel heute Vormittag war Mitch nach seiner Entschuldigung verschwunden. Er sagte, er müsse zum Busbahnhof. Er wolle herausfinden, ob der Schlüssel, den er im Saum seines Jacketts gefunden hatte, tatsächlich zu einem der Schließfächer dort gehörte. Wie er das anstellen wollte, ohne dass die Männer in dem Van ihn bemerkten, verriet er nicht. Er bat Becca schlicht, sich in zwei Stunden mit ihm auf dem Parkplatz des vornehmsten Restaurants in Wyatt City zu treffen.
Dann war er gegangen und hatte das Hemd, die Jacke und diesen eindeutigen
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