Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
Clique von Mitgliedern vorhanden gewesen wäre oder allein das Sagen gehabt hätte.
Wie kann dies geschehen, was sind die Aufgaben des Oberhaupts dabei? Welches sind «die Regeln der Kunst»? Ich möchte den Grundvorgang an einem selbst erlebten Beispiel darstellen.
Vortrag zum Thema «Stoppt den Hass – aber wie?»
Als neonazistische Ausschreitungen gegen Ausländer bei dem Brandanschlag von Mölln 1993 einen neuen, entsetzlichen Höhepunkt erreicht hatten, wollte ich tags darauf in meiner Vorlesung nicht zur Tagesordnung übergehen und bat die Hörer um Einverständnis, dass ich in Abweichung von der angekündigten Themenfolge eine Sondervorlesung zum Thema «Stoppt den Hass – aber wie?» hielt (viele Mitbürger trugen seinerzeit einen Button mit der Aufschrift «Stoppt den Hass!»). Zwar sei ich bei diesem Thema kein Experte und hätte auch keine Antwort auf die Frage, aber ich würde es für wichtig halten, in diesem Augenblick über die Vorgänge in Deutschland nicht schweigend hinwegzugehen (vgl. Cohn und Schulz von Thun 1994). Zufällig war (ohne mein Wissen) gerade an diesem Tag ein Vertriebsleiter eines deutschen Kreditinstituts unter den Hörern, beauftragt von seinem Vorstand, nach einem geeigneten Gastreferenten für das große Jahrestreffen aller Mitarbeiter zu suchen. So kam es, dass ich einige Zeit später eine schriftliche Anfrage erhielt, ob ich auf diesem Jahrestreffen der 700 Mitarbeiter genau wieder zu diesem Thema einen Vortrag halten könnte. Anschließend würden ein gemeinsames Essen und ein geselliger Abend folgen.
Bei einem Telefonat nach der schriftlichen Anfrage (ich hatte also Zeit, eine innere Befragung durchzuführen), reagierte ich auffällig diffus, unentschieden und zögernd: Zwar würde mich die Anfrage freuen, aber angesichts großer Belastung wäre es sehr schwierig, allenfalls wäre es vorstellbar … ginge es vielleicht auch an der Universität? Ich müsste mir das Ganze wohl noch mal überlegen. – Nanu!? So kannte ich mich selbst nicht – was war los mit mir? Auf jeden Fall, so viel spürte ich deutlich, waren da «zwei Seelen in meiner Brust» – beide sehr stark und völlig uneinig (s. Abb. 24).
Abb. 24:
Innere und äußere Unklarheit als Ausgangslage
Wohlgemerkt, diese beiden Stimmen sind vorläufige Endresultate eines inneren Chors, dessen Mitglieder wir noch gar nicht kennen: eine typische Mischung aus Wirrwarr und innerem Konflikt. Wir dürfen uns nun nicht damit zufriedengeben, dass wir einen Ja-Sager und einen Nein-Sager feststellen. Die Frage ist: Wer steckt dahinter? Wer (alles) meldet sich mit «Ja» und wer mit «Nein»?
1. Schritt: Identifikation der Teilnehmer
Wie viele melden sich zu Wort? Wie lauten die Botschaften dieser Wortmeldungen? Wie könnte man die Mitglieder nennen?
In diesem Fall finden sich folgende fünf Teilnehmer zur inneren Ratsversammlung ein:
ein Nervenbündel,
ein politisch Erwachter,
ein Zirkuspferd-Skeptiker,
ein Habgieriger,
ein Sozial-Gewissenhafter (s. Abb. 25).
Abb. 25 a:
Fünf Mitglieder, die sich zu Wort melden …
Abb. 25 b:
… und sich zu einer «inneren Ratsversammlung» zusammensetzen
2. Schritt: Anhörung der Einzelstimmen
Die Anhörung der Einzelstimmen ist mit dem ersten Schritt bereits ansatzweise verbunden. Denn die Anwesenheit und Mitwirkung eines Mitglieds ergibt sich ja erst durch seine Stimme und seinen Text. Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, wo sie ausführlich zu Wort kommen, und zwar zunächst jeder nur für sich – ohne Diskussion, ohne Zwischenrufe, Beifalls- oder Missfallenskundgebungen.
Bei der Leitung von Lern- und Arbeitsgruppen schlagen wir ebenfalls häufig eine solche «anti-interaktionelle Runde», wie Ruth Cohn das genannt hat, vor. Auch die professionelle Konfliktklärung in Teams (Thomann 1998) beginnt so: Jeder hat die Garantie, ohne jede Unterbrechung dranzukommen, angehört und verstanden zu werden – wie auch immer man zu ihm oder seiner Position stehen mag. Dieses Vorgehen steht in deutlichem Gegensatz zur «natürlichen» und wildwüchsigen Dynamik jeder (äußeren und inneren) Gruppe – ist gerade darum aber ein machtvolles Zaubermittel gelungener Kommunikation und Gemeinschaftsbildung.
In diesem Beispiel lautet die Botschaft der einzelnen Mitglieder wie folgt:
Das Nervenbündel : Bloß nicht! Schon mehrere Tage vorher werde ich, wie immer bei außergewöhnlichen «Auswärtsspielen», unter Strom stehen, einen Hauch von Gereiztheit und
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