Mittelstadtrauschen: Roman (German Edition)
Silbersternen, bis kaum noch Platz für die selbstgebackenen Kekse bleibt. Zuerst hat sie gedacht, dass sie einen Sessel dazustellen müssen wird, doch jetzt wird Marie am Platz der Mutter sitzen, denn die feiert lieber mit dem Essensausträger vom Roten Kreuz. Bitte, soll sie doch, wenn ihr ein Fremder wichtiger ist als die eigene Familie. Seit Monaten opfert sich Traude auf, putzt der Mutter das Klo, überzieht ihr das Bett, poliert ihr die Fenster, und was ist jetzt der Dank dafür? So eine Wut hat Traude, dass ihr die Hände zittern und die schöne Glaskugel von der Tante Gilde zerbricht. Während im Radio der Knabenchor das Ave Maria anstimmt, sammeln sich in Traudes Augen Tränen. Wütend wischt sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Was soll denn das für ein Weihnachten sein? Aber was kränk ich mich überhaupt, so war die Mutter doch schon immer, nie hat man es ihr recht machen können, immer hat sie etwas auszusetzen gehabt, immer hat sie einem alles verderben müssen. Die eigene Hochzeit, die Schwangerschaft, das ganze Leben. »Wo du doch hättest Richterin werden können!« Immer wieder dieser eine Satz. Dass Traude die Familie wichtiger gewesen ist als die Karriere, das hat sie nie verstehen können, versteht sie bis heute nicht, sonst würde sie kommen, würde Weihnachten mit ihnen feiern, anstatt mit einem Wildfremden. Was glaubt sie denn, warum sich so einer auf ihr Sofa setzt? Einer, der jünger ist als ihr eigener Enkelsohn, das ist doch pervers! Natürlich geht es dem Burschen ums Geld. Traude wundert sich bloß, dass er keine andere gefunden hat, da muss es doch Reichere geben als die Mutter, denkt sie. Aber wer weiß, bei wie vielen er es schon versucht hat!
Mit einem Kloß im Hals sammelt sie die Scherben auf und schneidet sich dabei in den Zeigefinger. Dickflüssig und dunkelrot tropft das Blut auf den Parkettboden und hinterlässt hässliche Flecken. Jetzt muss sie noch einmal den Boden wischen, dabei ist sie erst vor einer Stunde damit fertig geworden. Und wo bleibt eigentlich der Norbert, ganze zwei Stunden ist es her, dass sie ihn um den Fisch geschickt hat. Hoffentlich hat er ein paar gute Stücke ergattert, das ist ja heutzutage nicht mehr so wie früher, die ganzen Meere sind leer gefischt, alles reißt sich um den letzten Dorsch, den letzten Goldbarsch, alle gegen einen und einer gegen alle, und wer zu spät kommt, hat das Nachsehen. Voriges Jahr hat Norbert keinen Goldbarsch mehr bekommen, mit einem Karpfen ist er nach Hause gekommen, dabei hasst Traude Karpfen, der ist viel zu viel fett und schmeckt obendrein nach Donauwasser.
Norbert Stierschneider ist bei seiner Schwägerin Anna. Mit geübter Hand schiebt er ihr den Rock hoch und die Unterhose hinunter und presst sie gegen den alten Gasherd.
»Hast g’hört?«, fragt Anna. »Den Mayer hat’s erwischt, Leberkrebs.«
»Mhm, soso«, macht Norbert und stößt ihr seinen Schwanz in den Unterleib. Der Mayer, na so was, denkt er, so schnell kann’s gehen. Er packt Annas linke Brust, vergräbt seine Finger darin, und plötzlich fällt ihm wieder ein, wie fest ihre Brüste einmal gewesen sind, kleine, feste Bälle, wie frisch aufgepumpt, gerade richtig, um die gewölbten Handflächen auszufüllen. Er erinnert sich, wie er der siebzehnjährigen Anna in die Brustwarzen gebissen hat, zwei Tage vor seiner Hochzeit mit Traude, wie sie aufgestöhnt und sich ihm hingegeben hat. Wie er es mit ihr getrieben hat, bis er mit einem gewaltigen Schrei gekommen ist. Danach hat er gezittert, hat gar nicht mehr aufhören können. Und dann ist aus der Ecke plötzlich ein Wimmern gekommen. Erst da ist ihm wieder eingefallen, dass sie nicht allein im Zimmer sind. Schnell ist er aus dem Bett gesprungen, hat seine Sachen vom Boden aufgeklaubt und ist aus Annas Zimmer gerannt. Von nebenan hat er dann gehört, wie Anna auf das Kind eingeredet und es in den Schlaf gesungen hat, eine halbe Stunde lang, bis die Kleine endlich wieder eingeschlafen ist.
Zwei Tage später ist er vor dem Altar gestanden und hat Annas Schwester ewige Treue geschworen. Und bis vor einem halben Jahr, als er Anna über den Weg lief, hat er sich auch daran gehalten.
Ein Zittern geht durch Norberts Körper. Erschöpft lässt er sich auf die Bettbank fallen. Was ist denn das? Er fährt hoch, greift dorthin, wo eben noch sein Hintern gewesen ist. Jetzt hat er sich auch noch auf den Kabeljau gesetzt! Eilig versichert er sich, dass das Weihnachtsessen keinen Schaden genommen hat,
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