Mitternachtsschatten
warum hatte er es überhaupt getan? Er musste einen Hintergedanken haben, bestimmt hatte ihn nicht einfach die Leidenschaft überkommen. Er hatte sie gegen die Wand gedrückt und geküsst, und, noch viel schlimmer, sie hatte ihn ebenfalls geküsst. Wenn Rachel-Ann sie nicht unterbrochen hätte, dann wäre sie mit ihm ins Bett gegangen. Nein, das stimmte nicht. Wäre nicht Rachel-Ann dazwischengekommen, dann eben irgendetwas anderes. Jilly hatte ihr Leben lang beobachtet, wie ihr Bruder und ihre Schwester solche Fehler machten. Und Alan allein reichte für ihr ganzes Leben aus, sie würde es bestimmt nicht zur Gewohnheit werden lassen, mit gut aussehenden, herzlosen Männern zu schlafen, die sie nicht einmal wirklich wollten, sondern ihre Schwester.
Sie rollte sich auf den Rücken. Niemals zuvor war sie eifersüchtig gewesen. Jetzt natürlich auch nicht, warum denn auch? Als sie herausfand, dass Rachel-Ann eine Affäre mit ihrem Mann hatte, fühlte sie nur Wut und Erleichterung. Wut darüber, dass Alan sie betrogen hatte. Erleichterung, dass sie nun nicht mehr länger so tun musste, als ob … Rachel-Ann gegenüber hatte sie keinen Ärger empfunden. Ihre Schwester verletzte sich selbst schließlich mehr als sonst jemanden auf der Welt, und Alan war von Anfang an ein Fehler gewesen, eine Enttäuschung. Sie hätte das schon vorher wissen müssen, spätestens dann, als ihre Sorge, das La Casa verlassen zu müssen, sie mehr beschäftigte als ihre bevorstehende Hochzeit.
Sie konnte nicht aufhören, an Sex zu denken, und das war allein Coltranes Schuld. Sie war niemals ihren Hormonen hörig gewesen, ihr kam es eher so vor, als hätte Rachel-Ann zu viel und sie zu wenig davon abbekommen. Natürlich war sie als Mädchen öfter verliebt gewesen und hatte das eine oder andere Date als Teenager gehabt. Manchmal bildete sie sich ein, verliebt zu sein, und mit diesen Männern ging sie dann ins Bett. Einen großen Unterschied hatte sie zwischen ihnen allerdings nie feststellen können.
Eine Zeit lang fragte sie sich sogar, ob sie vielleicht lesbisch war. Sie hätte das absolut in Ordnung gefunden, und Dean wäre darüber bestimmt sehr glücklich gewesen. Aber es gelang ihr nicht im Geringsten, auch nur den Hauch lustvoller Gefühle für eine andere Frau zu entwickeln. Auch wenn sie Frauen im gesellschaftlichen Leben eindeutig bevorzugte, sie reizten sie eben kein bisschen als Sexpartner. Die meisten Männer allerdings auch nicht, was sie schließlich auf den Gedanken brachte, dass sie vielleicht nicht gerade frigide, aber wenig heißblütig war. Alan und sie hatten auch nicht gerade Großbrände gezündet. Sie wusste zwar, wie man sich richtig bewegte, sie kannte die Geräusche, die notwendig waren, und zunächst fand sie das alles auch ganz angenehm. Doch sehr schnell empfand sie es nur noch als lästige Pflicht.
Deshalb hatte sie in den drei Jahren, seit sie und Alan sich getrennt hatten, auch keine Beziehung mehr gehabt. Sie war nicht einmal in die Versuchung gekommen, und dann kam plötzlich dieser völlig unpassende Mann in ihr Leben.
Jilly rollte sich auf die Seite und boxte das weiche Kopfkissen. Ihr war viel zu heiß, selbst in Boxershorts und einem Top, und das, obwohl die Nacht eigentlich angenehm kühl war. Sie wollte nicht daran denken, wie es sich angefühlt hatte, eng an Coltranes Körper gepresst zu sein. Nun lag sie hier, drehte und wälzte sich in ihrem Bett, halb wach, halb träumend. Sie erwartete nicht, dass Coltrane einfach uneingeladen in ihrem Schlafzimmer auftauchen würde, er war ja nicht einmal zu Hause. Und selbst wenn, solange sie in ihrem Zimmer blieb, war sie sicher.
Sicher. Warum glaubte sie eigentlich, dass Coltrane so gefährlich war? Natürlich hatte er dieses Böse-Junge-Flair an sich, das Rachel-Ann so unwiderstehlich und sie selbst eher abstoßend fand, aber er war doch keine echte Gefahr für sie. Oder war er das doch?
Sie drehte sich zurück auf den Bauch und hieb wieder auf das Kopfkissen ein. Warum konnte sie dann nicht einfach aufhören, über ihn nachzudenken? Vielleicht wallten doch einfach ihre Hormone auf. Sie war jetzt fast dreißig, vielleicht war sie ja eine Spätzünderin und auf dem besten Weg, so unersättlich zu werden wie Rachel-Ann in ihren schlimmsten Zeiten. Nicht dass da nicht eine Menge attraktive Männer um sie herum waren. Sam Bailey beispielsweise und Mark Fulmer und dieser Anwalt ihrer Firma … nein, sie mochte Anwälte ja nicht. Leider empfand sie nicht das
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