Mitternachtsschatten
beruhigend. Sie wartete darauf, dass er sie berühren würde, aber er hatte keine Eile, schien sogar ganz zufrieden zu sein, nur hier zu liegen.
„Du hast eine Menge Bücher“, sagte sie.
Sie musste ihn nicht sehen, um zu wissen, dass er amüsiert lächelte. „Ja, das stimmt. Soll ich das Licht wieder anmachen, damit du sie lesen kannst?“
„Die sehen ein wenig zu ernsthaft für mich aus. Was für Bücher sind das?“
„Medizinische Bücher. Und du hast Recht. Sie sind nicht leicht zu lesen.“
„Wofür musst du medizinische Texte lesen?“
„Oh, selbst ein Krankenpfleger ist manchmal wissbegierig. Aber eigentlich ist es nur so, dass mein Einrichtungsberater meinte, sie würden sich sehr gut in meinem Zimmer machen.“
„Du bist kein Krankenpfleger.“
„Nein.“
„Ein Sanitäter?“ fragte sie. „Labortechniker?“
„Spielt das eine Rolle?“
Aber sie ahnte die Wahrheit. „Ich mag keine Ärzte.“
„Dann meide einfach die Notaufnahme, und du musst mich nicht bei der Arbeit sehen.“
„Sollte ein Arzt nicht mehr Verstand haben, als mit einer Fremden zu schlafen, die eine lange Geschichte mit Drogen und Alkohol hinter sich hat? Hast du schon mal von AIDS gehört?“
„Du hast Kondome mitgebracht. Und wie kommst du darauf, dass ich gesund bin?“
„Bist du es?“ Würde sie gehen, wenn er Nein sagte?
„Ja.“
„Willst du mich nicht fragen?“
„Hör auf, mit mir zu diskutieren,
chica“
, sagte er sanft.
„Wenn du krank bist, werde ich mich um dich kümmern. Aber ich glaube nicht, dass du das bist. Dann wärst du nicht mit mir nach Hause gekommen. Es gefällt dir zu glauben, dass du so gemein und schlecht bist, doch das stimmt nicht. Du würdest nicht fremde Männer auflesen und sie anstecken.“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, warum du dir einbildest, mich so gut zu kennen“, stieß Rachel-Ann bitter hervor.
„Weil ich dich gut kenne. Komm her.“ Sie spürte seine Hände und wie er sie an sich zog. Er streichelte ihren Kopf, und ohne nachzudenken drückte sie ihr Gesicht unter sein Kinn. Er war nackt, so wie sie es erwartet hatte, und er war erregt. Sie wartete, dass er fortfahren würde. Dass er ihr die Unterwäsche ausziehen würde, sie küsste, fordernd, und von ihr verlangte, ihn anzufassen.
Aber das tat er nicht. Es schien ihm vollkommen zu genügen, sie in den Armen zu halten. „Du kannst dich entspannen, Rachel-Ann“, flüsterte er in ihr Ohr. „Wir werden nichts tun, was du nicht willst.“
„Und wenn ich einfach nur hier liegen will?“
„Dann ist das absolut in Ordnung.“
„Dein Körper spricht aber eine andere Sprache.“
„Stimmt“, gab er zu. „Doch mein Körper regiert nicht meinen Verstand.“ Er drehte sie um, so dass sie mit dem Rücken an seinen Bauch gepresst lag, umfing sie fest mit seinen Armen, hielt sie und verlangte nichts. „Hör auf zu zittern. Ich werde dir nicht wehtun.“
Ihr war so kalt, und sein Körper war so heiß. Alles, was sie wollte, war, hier zu liegen und zu weinen. Aber das würde sie nicht tun. Sie starrte blicklos auf die Bücherwand und versuchte, seine Hitze in sich aufzunehmen, seine Stärke, und ganz langsam, fast unbemerkt, löste sich ihre Anspannung. „So viele Bücher“, murmelte sie schläfrig.
„So viele Bücher“, wiederholte er. „Schlaf jetzt, mein Engel.“
„Ich bin kein Engel“, wisperte sie. „Und ich will nicht schlafen.“
„Doch, das willst du. Du bist es leid zu kämpfen. Ich passe auf dich auf.“
„Wieso glaubst du zu wissen, was ich will? Wieso glaubst du überhaupt, irgendetwas über mich zu wissen?“ Sie sah, dass auf dem Bücherregal ein paar silberne Bilderrahmen waren, die alle mit dem Gesicht nach unten lagen. Komisch, dachte sie müde.
„Ich kenne dich. Schlaf jetzt.“
„Nein“, sagte sie. Und schlief sicher in seinen Armen ein.
12. KAPITEL
R achel-Ann war nicht nach Hause gekommen. Jilly lag mit dem Gesicht nach unten auf ihrem Bett, hellwach, und lauschte. Kein Ton war durch die Wand vom allgegenwärtigen Wetterkanal zu hören, auch keine Schritte von jemandem, der panisch die Treppe hochrannte. Rachel-Ann war bereits weggewesen, als Jilly nach Hause kam, und noch immer nicht zurück.
Die Tatsache, dass auch Coltrane nicht hier war, störte sie hingegen weniger. Jeden Tag, den sie ihm nicht gegenübertreten musste, war ein Segen, vor allem nach dem, was letzte Nacht passiert war. Warum, um Gottes willen, hatte sie ihm erlaubt, sie zu küssen? Und
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