Mitternachtsschatten
Ich muss zur Arbeit, und ich will nicht gehen, bis du sicher in deinem Auto sitzt. Diese Nachbarschaft könnte ein wenig gefährlich sein, wenn ich nicht dabei bin.“
Zögernd öffnete sie die Augen. Er war frisch geduscht, rasiert und angezogen. Er roch nach Seife und Shampoo und sah besser aus als alles, was sie sich vorstellen konnte. Sie brachte ein schwaches Lächeln zu Stande. „Ich brauche nur eine Minute, um zu verschwinden“, sagte sie und wickelte die Decke um sich. Es gab keinen bestimmten Grund, so schüchtern zu sein, sie trug schließlich noch ihre Unterwäsche. Der Stapel Kondome lag noch immer auf dem Nachttisch, und sie fühlte, wie sie rot wurde.
„Du wirst nirgendwo hingehen, bevor du nicht etwas gegessen hast. Ich habe Frühstück gemacht, und wenn du nichts isst, bin ich beleidigt.“
„Ich frühstücke nie.“ Aber es roch göttlich. Der herrliche Duft von Frühstück und Kaffee, es roch wie etwas, das sie aus einer Zeit kannte, als Consuelo über die Küche im La Casa herrschte.
„Heute aber schon. Das Badezimmer ist dort drüben. Ich habe frische Handtücher für dich rausgelegt. Du kannst gerne duschen, und wenn du fertig bist, ist auch das Frühstück bereit.“
„Ich frühstücke …“
„… nie“, beendete er den Satz für sie. „Habe ich dir nicht erzählt, dass ich ungeheuer dickköpfig sein kann?“
Sie wartete, bis er wieder in der Küche war, weil sie nicht halb nackt vor ihm rumtanzen wollte. Ihre Kleider lagen ordentlich zusammengelegt neben dem Bett. Rachel-Ann nahm sie und lief schnell ins Badezimmer. Sie knallte die Tür hinter sich zu und duschte so lange, bis sie sich endlich wieder wie ein Mensch fühlte. Sie mochte den Duft seiner Seife und seines Shampoos. Ich werde wie er riechen, dachte sie abwesend, während sie sich anzog. Ihre Unterwäsche zog sie jedoch nicht wieder an, sondern warf sie einfach in den Abfall, dann öffnete sie die Tür einen Spalt, in der Hoffnung, rausschleichen zu können, bevor er aus der Küche kam.
Aber sie hatte kein Glück. Er wartete bereits auf sie, ihre Autoschlüssel in der Hand. Sie hatte vorher gar nicht auf seine Hände geachtet. Im Grunde hatte sie ihn bisher gar nicht richtig angesehen, denn sie mochte es, wenn solche Dinge eher unpersönlich blieben. Doch dadurch, dass sie nicht miteinander geschlafen hatten, war plötzlich alles sehr persönlich geworden. Nun betrachtete sie also seine Hände und die schlanken, schönen Finger. Hände, die bestimmt wussten, wie sie eine Frau berühren mussten.
Es konnte nur an dem Essenduft liegen, dass sie sich solche Gedanken machte. Es erinnerte sie an ihre Kindheit. An herrliche Nächte, in denen sie ruhig und tief geschlafen hatte, so wie heute. Sollte sie nicht vielleicht beleidigt sein, dass er nicht mehr von ihr wollte? Doch wenn sie sich daran erinnerte, wie es sich angefühlt hatte, in seinen starken Armen zu liegen, dann wusste sie, dass er sie sehr wohl begehrt und aus einem ganz anderen Grund nicht geliebt hatte. Geliebt – diesen Ausdruck benutzte sie wahrlich nicht oft. Aber aus irgendeinem Grund wusste sie, dass es genau das sein würde, was dieser Mann tun würde. Sie lieben. Liebe machen. Und das war das Letzte, was sie wollte.
Sie riss sich von dem Anblick seiner Hände los. „Na gut, dann lass uns frühstücken“, sagte sie fröhlich. „Und danach muss ich schnell nach Hause.“
Er hatte
huevos rancheros
zubereitet. Sie konnte sich kaum daran erinnern, wann sie diese mexikanische Eierspeise zum letzten Mal gegessen hatte, und allein durch den Anblick von Eiern und Salsa am frühen Morgen sollte ihr jetzt eigentlich übel werden. Stattdessen stellte sie fest, dass sie halb verhungert war. Es schmeckte himmlisch, fettig, würzig, einfach perfekt, und der Kaffee war genau so stark, wie sie ihn mochte, mit Milch und viel Zucker und einem Hauch von Zimt. Am liebsten hätte sie den Teller abgeleckt. Rico beobachtete sie.
„Du frühstückst nie?“ fragte er freundlich.
Sie zuckte mit den Schultern und nahm die Kaffeetasse in die Hand. „Was soll ich sagen, es war einfach köstlich. Wer hat dir beigebracht, so zu kochen?“
„Meine Mutter.“
Klirrend stellte sie die Kaffeetasse auf den Tisch. Sie riss den Kopf herum, schockiert, und starrte ihn an. Plötzlich fügten sich alle Teile ineinander. Sie hatte ja keine Ahnung gehabt!
Er trug ein weites weißes T-Shirt. Sie stand auf und zog ihm das Hemd aus der Hose, bevor er sie daran hindern konnte.
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