Mitternachtsschatten
„Ihr wisst, dass ich mich sehr für das La Casa interessiere. Das war schon immer so.“
„Ich weiß nur, dass du seit über zwanzig Jahren keinen Fuß mehr hereingesetzt hast, und dass Grandmère es lieber uns als dir überlassen hat“, sagte Jilly scharf.
„Als Treuhandvermögen. Und aus steuerlichen Gründen“, gab Jackson zurück. „Ich weiß, du denkst nicht gerne an die praktischen Dinge des Lebens. Du bist so beschäftigt mit allen den verlorenen Fällen, du rennst in der ganzen Stadt rum und versuchst Gebäude zu retten, die ihre Zeit schon viel zu lange überlebt haben. Und du hast nicht ein einziges Mal Erfolg dabei gehabt, nicht wahr, Jillian? Weil es keinen anderen außer dir auch nur einen Dreck interessiert.“
„Stimmt“, sagte sie ruhig.
„Es ist völlig üblich, bei einer Erbschaft eine Generation zu überspringen. Coltrane wird es bestimmt ein Vergnügen sein, dir die genauen rechtlichen Hintergründe eines Tages darzulegen, falls dich das so fasziniert, was ich allerdings bezweifle. Es ist ja sehr unwahrscheinlich, dass du irgendein Vermögen jemals an deine Kinder oder Enkel, die du möglicherweise in der Zukunft produzierst, vererben kannst, wenn du dein Leben weiterhin diesem erbärmlichen Job widmest.“
„Wenn du meinst. Es ist mir wirklich ziemlich egal. Ich weiß nur, dass Grandmère auf keinen Fall wollte, dass du das La Casa bekommst. Sie wusste, dass du es auf der Stelle niederreißen und ein teures Hochhaus darauf bauen würdest.“
„Warum hat sie es dann als Treuhandvermögen hinterlassen? Solange ihr hier leben wollt, gehört es euch. Aber sobald ihr auszieht oder es unbewohnbar wird, fällt es in meine Hände zurück.“
„Das wurde uns bereits damals erklärt“, sagte Jilly. „Erzähl uns etwas, was wir noch nicht wissen.“
„Dieses Haus ist nicht mehr sicher. Es ist eine Feuerfalle, und beim nächsten Erdbeben wird es vermutlich um euch herum zusammenfallen. Ich möchte meine Kinder nicht durch einen tragischen Unfall verlieren“, sagte er mit solch besorgter Stimme, dass man ihm fast hätte glauben können.
„Uns wird schon nichts passieren“, erwiderte sie kühl. „Danke für deine Besorgnis, aber wir bleiben hier.“
„Es ist euch allen drei hinterlassen worden, Jillian. Interessiert es dich denn gar nicht, was deine Geschwister dazu zu sagen haben? Ich biete jedem Einzelnen von euch einen großzügigen Geldbetrag. Genug, damit du jede Menge historischen Müll kaufen und restaurieren kannst, genug, damit Dean sich das Haus kaufen kann, das ihm gefällt.“
„Und was ist mit Rachel-Ann?“ fragte Dean freundlich.
Jackson beugte sich vor und legte seine perfekt manikürten Finger auf Rachel-Anns schlankes Knie und drückte es leicht. „Ich habe gehofft, dass sie bei mir einziehen wird.“
Die Stille im Raum war fast greifbar. Jilly zuckte unwillkürlich zurück, und sie fragte sich, ob sie vielleicht überreagierte und ob der Vorschlag ihres Vaters nicht völlig normal war. Allerdings wohl eher doch nicht, wenn sie den Ausdruck auf den Gesichtern aller anderen betrachtete. Es war, als hätte Jackson mitten im Zimmer eine Bombe fallen lassen, und jedermann tat aus Höflichkeit so, als sei nichts geschehen, auch wenn sie jeden Moment hochgehen konnte. Coltranes Gesicht sah geradezu Furcht erregend in seiner Unbewegtheit aus, seine Augen wie Eis, die Hände hatte er zu Fäusten geballt. Doch er sagte kein Wort, und die anderen konnten seine schreckliche Reaktion nicht sehen. Nur Jilly, und sie fragte sich, warum er so reagierte. Was sie verpasst hatte. Warum trafen ihn die Worte Jacksons dermaßen?
Rachel-Anns Gesichtsausdruck konnte man jedenfalls nicht missdeuten. Sie rührte sich nicht, und Jacksons Hand blieb sanft streichelnd auf ihrem Knie liegen. Dean war der Erste, der sprach. Als er sich räusperte, klang das Geräusch in der Stille hässlich. „Hat Melba da nicht ein Wörtchen mitzureden, Vater?“ fragte er sanft.
„Melba und ich haben eine freundschaftliche Trennung beschlossen. Wir haben natürlich einen Ehevertrag geschlossen, alles läuft sehr geradlinig, es gibt für sie keinen Grund, ihn anzufechten. Will heißen, ich habe ihr keinen Grund gegeben.“
Jilly konnte nicht aufhören, seine Hand anzustarren, die noch immer das Knie ihrer Schwester berührte, ein langsames, hypnotisches Streicheln.
„Und?“ fragte Dean drängend, seine Stimme klang hohl, aber noch immer schimmerte Triumph in seinen Augen.
„Ich habe ein Haus
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