Mittsommersehnsucht
gerade als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
»Hier ist Birgit. Doktor Andrea, kannst du mich hören?«
»Ja. Was ist denn passiert, Birgit?«
»Ein Unglück. Ein schreckliches Unglück ist passiert. Bitte, Doktor Andrea, komm zurück!«
28
V on einem Tag zum anderen war das Wetter umgeschlagen. Die hellen Tage und Nächte waren wie mit einem dunklen Tuch bedeckt. Das Thermometer war um mehr als zehn Grad gefallen. Regen mischte sich mit Hagelschauern. Sturm peitschte die Blätter von den Bäumen, ließ die Schiffe im Hafen einen aufgeregten Tanz vollführen.
Die Bewohner von Trondheim waren derlei Wettereskapaden gewöhnt, sie störten sich nur bedingt an den Regenfluten, die aus den tief hängenden Wolken strömten. Die Frauen verzichteten auf modische High Heels und zogen feste Schuhe oder gar Stiefel an. Statt der bunten Sommerkleider holten sie Jeans und Pullis samt Wetterjacken aus dem Schrank.
Die Touristen, überrascht von dem Wettersturz, waren nur teilweise auf Regen eingestellt. Sie flüchteten in Kirchen, Museen oder in eins der gemütlichen Cafés oder Restaurants. Es war nicht angenehm, draußen zu sein. Etliche kauften sich Regencapes, damit sie ihr geplantes Sightseeing-Programm durchziehen konnten.
Der Sturm nahm mit jeder halben Stunde zu, es war zum Teil mühevoll, sich auf den Beinen zu halten.
Auch die Black Nessy , das Forschungsschiff, mit dem James und Magnus häufig auf See waren, hatte Mühe, in den Hafen von Trondheim zurückzukehren. Immer wieder wurde das Schiff auf Wellenkämme gehoben, es war ein ungemütlicher Reigen, den es, so wie viele andere kleine Boote, tanzen musste.
»Pass auf, dass du nicht ausrutschst.« James, den Südwester tief ins Gesicht gezogen, winkte Magnus zu, der ihm helfen wollte, die Taue an Land zu werfen.
»Es passt schon.« Magnus lachte. »So leicht holt mich nichts von den Beinen.«
»Ach nein?« James grinste.
»Hör nur ja auf. Das war kein Unfall, das war Schicksal. So hab ich schließlich Andrea kennengelernt.«
»Und hast ein Problem.« James wies zum Ufer. Dort stand ein weißes Sportcoupé. Der schnittige Wagen fiel deutlich auf zwischen den dunkel lackierten, zum Teil schon recht altersschwachen Autos der Fischer.
»Lilian!«
»Sie ist hartnäckig.« James warf einem jungen Burschen, der am Ufer wartete, die letzte Leine zu. »Dazu auch noch bildschön und reich.«
»Der Reichtum ihres Vaters hat mich nie interessiert.« Magnus strich sich die feuchten Haare aus der Stirn.
»Aber ein paar Millionen wären eine angenehme Beigabe, nicht wahr?«
»Unsinn! Wofür hältst du mich?«
»Für einen Mann mit Problemen, sagte ich doch schon.« James grinste. »Jetzt mach schon, dass du von Bord kommst. Sie wartet sicher schon lange.«
Das bestätigte Lilian, kaum dass Magnus zu ihr gekommen war.
»Ich warte schon länger als eine Stunde. Ihr seid viel zu spät«, maulte sie.
»Der Sturm … das hast du dir doch denken können.« Er öffnete die Wagentür. »Warum hast du nicht vorher angerufen?«
»Um mir Ausreden anzuhören?« Lilian griff nach hinten und zog eine dicke Decke hervor. »Setz dich lieber da drauf. Du verdirbst mir sonst die Polster.«
»Ich muss nicht mitfahren.« Magnus trat einen Schritt zurück. »Drüben steht mein Auto.« Er wies zu einem alten Kombi, der von einigen Containern halb verdeckt wurde.
»Sei nicht so empfindlich und steig ein.« Sie hatte die Decke über die hellen Lederpolster gelegt. »Ich hab doch nicht umsonst auf dich gewartet.«
Bevor er sich ins Auto setzte, zog Magnus die Regenjacke aus und warf sie auf den Boden. »Wieso bist du schon wieder hier?«
»Hat sich so ergeben.« Lilian beugte sich zu ihm. »Ist das eine Begrüßung? Bekomme ich nicht wenigstens einen Kuss?«
Er küsste sie flüchtig.
Verdammt, warum hatte er nicht gleich nach Lilians Urlaub offen mit ihr gesprochen? Warum hatte er noch einmal mit ihr geschlafen, statt endgültig Schluss zu machen?
Als er an die Nacht mit Lilian zurückdachte, schoss ihm das Blut zum Herzen. Sie war wie eine Wildkatze. Leidenschaftlich. Unersättlich. Fantasievoll. Rau und zärtlich zugleich.
Er war immer gern mit ihr ins Bett gegangen. Der Sex mit ihr war einmalig.
Aber … das genügte nicht. Erst seit er Andrea kannte, wusste er das.
»Papa lässt dich grüßen. Er erwartet uns zum Abendessen.«
Kjell Blomquist besaß einen der größten skandinavischen Kunstbuchverlage. Das Verlagshaus befand sich in Oslo, doch privat
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