Modesty Blaise 03: Die Lady reitet der Teufel
dieses Schema. Diese Sovereigns samt der ganzen Konstruktion müssen doch mehr als eine halbe Tonne gewogen haben. Das Gewicht hat im Wasser natürlich nicht viel zu bedeuten, aber das Ganze wäre zu träge gewesen.»
«Zu träge wofür?» fragte Tarrant verblüfft.
«Das weiß ich noch nicht. Aber irgendwie hat das Ganze nicht in das bisherige Schema gepaßt. Jetzt paßt es. Deswegen habe ich nach einem Motor gefragt.»
«Ich sehe da zwar keinen Zusammenhang, aber Ihre Vermutung war richtig. Ist das irgendwie von Nutzen?»
«Alles ist von Nutzen. Durch den Motor braucht das Ganze keine größere Zugkraft.»
Tarrant wollte schon fragen: «Wessen Zugkraft?», erinnerte sich aber rechtzeitig, daß dies ja auch Willies Frage war. So sagte er nur: «Eine neue Sterbeliste ist ausgeschickt worden. Wie schon gehabt, nur geht es uns diesmal auch persönlich an. Unser amerikanischer Freund John Dall steht auf der Liste.»
Tarrant verstand Willies Schweigen nur zu gut. Ihm war es ja ähnlich ergangen. Falls Modesty richtig vermutet hatte, unter welche Kategorie fiel dann Dall?
Gehörte er zu den echten Todeskandidaten oder zu jenen, die erpreßt werden sollten?
«Dall wird niemals zahlen», sagte Willie langsam, «aber diese Bande kennt ihn nicht so gut wie wir. Nach so vielen abschreckenden Beispielen müssen sie ja glauben, daß er zahlt.»
«Das stimmt. Nach den Erfolgen der letzten Zeit können sie sich auch an härtere Kunden heranwagen. Aber falls Dall kein natürlicher Todeskandidat ist und nicht zahlt, steht ihnen allerhand bevor, ehe sie ihn umlegen können.»
«Gar nicht so viel, wie Sie glauben. John Dall ist nicht der Mann, sich Tag und Nacht bewachen zu lassen. So gut kennt ihn auch Wish.»
«Ja, leider», seufzte Tarrant. «Aber das ist im Moment nicht unser Hauptproblem.»
«Nein. Rufen Sie mich an, wenn es was Neues gibt. Ich bleibe bis morgen hier.»
«Und dann?»
«Das hängt davon ab, was bei meinem Nachdenken herauskommt.»
Willie Garvin legte auf und blickte hinaus auf den Hafen. Es war früh am Nachmittag. Willie zog die Vorhänge zu, ging durch das dämmerige Zimmer zum Bett, stellte Zigaretten und Feuerzeug auf den Nachttisch, legte sich rücklings hin, verschränkte die Finger hinter dem Kopf und schloß die Augen.
Zehn Minuten lang bemühte er sich, alle Angst und alle Mutmaßungen um Modesty aus seinen Gedanken zu löschen, um Raum zu schaffen für die Fragen, die ihn nun beschäftigten.
Zunächst überdachte er das Unterwasser-Ortungssystem des Behälters. Es umfaßte kaum einen viertel Kubikmeter. Die Zwölf-Volt-Batterie lieferte drei Stunden lang kurze Stromstöße von acht Kilowatt im Abstand von fünf Sekunden. Die Stärke wurde dabei automatisch reduziert. Der in einem Umwandler erzeugte Summton wurde horizontal nach allen Richtungen ausgestrahlt, vertikal bis zu einem Winkel von dreißig Grad.
Wofür sollte die automatische Reduktion der Intensität gut sein? Warum waren die Stromstöße nur am Anfang so stark? Das Umgekehrte wäre zu erwarten gewesen. Die allgemeine Position des versenkten Behälters war doch ohnehin bekannt. Das einzige Problem war der direkte Kontakt mit ihm. Welche Art Unterwasserfahrzeug war imstande, nicht nur jedes fremde Schiff im Umkreis, sondern auch jedes verdächtige Zusatzgerät an dem Behälter auszumachen und diesen, falls alles in Ordnung war, unbemerkt abzuschleppen?
Die Antwort mußte einfach sein. Willie Garvin hielt nichts von dem Märchen vom genialen Verbrecher, der unerhörte Apparate erzeugt, von denen die wissenschaftliche Welt nichts weiß.
Wofür diente die Auftriebsverstärkung durch die auslaufenden Schrotkugeln, sobald der Behälter abgeschleppt wurde?
Nachdem er sich alle diese Fragen gestellt hatte, schob Willie sie zur Seite und begann ein Kombinationsspiel mit allen ihm bisher bekannten Fakten. Aber jede Variante war unvollständig und ergab keinen Sinn. Er rauchte eine Zigarette, lehnte sich dann wieder zurück und durchsuchte seine Erinnerung nach jenem abgesunkenen Wissen, das, er wußte es genau, eine dieser Kombinationen zu einem sinnvollen Ganzen machen würde.
Es war sechs Uhr in Stockholm.
Es war Mittag in New York. John Dall saß am Kopfende des langen Tisches im Sitzungssaal, im obersten Stockwerk des großen Wolkenkratzers, welcher die Firma Dall Enterprises beherbergte. John war noch keine vierzig, mit energischem, gebräuntem Gesicht.
Sein dunkles Haar war kurz geschnitten. Außer ihm war noch ein Dutzend
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