Modesty Blaise 04: Ein Gorilla für die Lady
nett?»
«In gewisser Weise schon. Er hat eine ruhige Art, sich zu unterhalten – das mögen Sie ja – und verfügt über eine Menge altväterischen Charmes. Ich glaube fast, daß Modesty so eine Art Tochterersatz für ihn ist.
Trotzdem bringt er es verdammt gut fertig, sie hinauszuschicken und Dinge tun zu lassen, bei denen sie durchaus die Chance hat, umgelegt zu werden.»
«Huh?»
«Sagen Sie nicht ‹Huh›. Und seien Sie ein braves Mädchen – stellen Sie mir keine Fragen über Tarrant.»
Sie gingen auf die offene Tür des Landhauses zu.
«Kann ich mich rasch waschen und umziehen, ehe ich ihm vorgestellt werde?» fragte Dinah.
«Natürlich. Ich habe genau dasselbe vor.»
Er nahm ihren Arm und führte sie zur hinteren Front des Hauses, von wo aus eine Tür in die Küche führte. Es war ein weiträumiges und ausgezeichnet umgestaltetes Bauernhaus mit einer in die unverputzte weiße Wand der großen Halle eingelassenen Kaminecke. Im oberen Stockwerk führte ein winkeliger Gang an fünf Schlafräumen und zwei Badezimmern vorbei.
«Brauchen Sie bei irgend etwas meine Hilfe?» fragte Collier.
«Nein. Ich habe mich eingerichtet und weiß jetzt, wo alles ist.»
«Gut. Dann warte ich in der Halle auf Sie.»
«In zehn Minuten.»
In dem großen, behaglichen Wohnzimmer lehnte sich Tarrant in eine Ecke der tiefen Couch zurück und streckte seine Beine aus.
«Ich hatte fast gedacht, wir sollten die Angelegenheit Aaronson vergessen», sagte er. «Warum? Für mich sieht es nach Mord aus.» Modesty Blaise saß mit hochgezogenen Füßen in einem riesigen Lehnstuhl. Sie trug einen kurzärmeligen Pullover aus gelber Kaschmirwolle zu einem bräunlichen Rock. Die bloßen Füße steckten in Sandalen.
«Mord ist Sache der Polizei», sagte Tarrant. Mit einem Nicken wies er auf das Phantombild, das sie in der Hand hielt. «Ich habe ihnen das da übergeben. Sie haben ihn nicht gefunden. Ich bezweifle fast, daß er überhaupt noch im Lande ist. Ich mag mich irren. Frobisher hatte keine Meldungen von den Häfen oder Flugplätzen, und der Himmel weiß, wie schwer es jedem fallen dürfte, eine solche Mißgestalt zu übersehen.»
«Allerdings nur dann, wenn er das Land auf dem Wege über irgendwelche Ausreisekontrollen verläßt. Er kann andere Möglichkeiten haben.» Als Tarrant die Achseln zuckte, schaute sie ihn mit sonderbarem Ausdruck an und fuhr fort: «Ich verstehe Sie nicht.»
«Diese Sache geht mich nichts an, Modesty. Weil Aaronson ein Freund von mir war, bat ich Sie, sich bei den Ausgrabungen in Mus einmal umzuschauen. Jetzt ist er tot, deshalb ist das nicht mehr aktuell.»
«Ich hätte gedacht, Sie würden jetzt um so dringender daran interessiert sein, daß ich mich dort einmal umschaue, wenn Aaronson ermordet wurde.»
«Wenn. Wir wissen es nicht.» Tarrant schaute aus dem Fenster und sagte geistesabwesend: «Ich möchte, daß Sie es vergessen, Modesty. Sie sind mit diesem Gabriel genug versorgt.»
«Für den Augenblick schon. Aber wir hoffen, das sehr bald erledigt zu haben.» Sie stockte und fügte dann ein wenig düster hinzu: «Um Dinahs willen wäre das wohl auch besser. Wenn es vorbei ist, werde ich für Sie nach Mus reisen und mir einen Eindruck verschaffen.»
«Nein», sagte Tarrant knapp. «Ich bin hungrig und ausgedörrt. Wollen Sie mir eigentlich keinen Tee anbieten?»
Sie schaute ihn mehrere Sekunden lang unverwandt an, lächelte dann plötzlich und stand auf. «Noch fünf Minuten. Ich warte nur noch auf die anderen. Dinah liebt die englische Teestunde. Mit einem höflichen englischen alten Herrn wie Ihnen wird es ein besonderer Genuß für sie sein.»
«Erhalten Sie ihr ihre Illusionen», sagte Tarrant etwas verdrießlich. «Verraten Sie ihr nicht, was für ein schlechter Kerl ich bin.»
Als Modesty den beladenen Teewagen hereinrollte, war Collier gerade dabei, die beiden miteinander bekannt zu machen. Tarrant hielt Dinahs Hand und beugte sich darüber.
«Zählen Sie Ihre Finger nach, Dinah», sagte sie.
«Und dann helfen Sie mir austeilen, wenn Sie noch genug übrighaben.»
«Verleumdung», erklärte Tarrant würdevoll. Während er sprach, schickte er einen verwundert-fragenden Blick zu Modesty, die beruhigend den Kopf schüttelte und ihm mit Gesten bedeutete, das Mädchen zu beobachten.
Tarrant sah fasziniert zu, wie Dinah ihre Finger behutsam über Tassen und Teller gleiten ließ, die auf dem Teewagen standen, und dabei leise schnüffelte.
«Brötchen, und dann wieder diese
Weitere Kostenlose Bücher