Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
grausamen Zug um den Mund, hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als das Klingeln aufhörte.
Er zuckte die Achseln und ließ sich wieder auf das Sofa fallen. Genau drei Minuten später öffnete sich die Schlafzimmertür, und das rothaarige Mädchen steckte den Kopf heraus. Sie trug immer noch Slip und BH und machte einen nervösen Eindruck.
»Könnten Sie bitte mal reinkommen und sich Mr. Chan ansehen?« bat sie, wobei ihr schottischer Dialekt jetzt weitaus deutlicher zu hören war. »Ich glaube, er ist bewußtlos geworden, und ich kann ihn nicht wieder aufwecken!«
Rodney, der kräftigere der beiden, stieß ein »Mist!«
hervor und sprang auf. Sie trat beiseite und ließ ihn ins Schlafzimmer. Dick kam ihm nach, aber sie zeigte auf ein Telefon, das auf einem Tischchen im Wohnzimmer stand, und sagte: »Vielleicht steht sein Hausarzt in dem kleinen Notizbuch da drin.«
Dick blieb stehen. Er war nervös und offensichtlich etwas durcheinander. Dann brummte er zustimmend und wandte sich dem Telefon zu. Er wollte eben nach dem Notizbuch greifen, als auf einmal alles schwarz wurde. Ein paar Sekunden später betrat die Rothaarige das Schlafzimmer. Bernie Chan lag bewußtlos auf dem Bett, immer noch mit Socken, Hemd und Hose bekleidet. Rodney sah ein wenig verwirrt auf ihn herab und wußte anscheinend nicht so recht, was er tun sollte. »Ich weiß gar nicht, wie das passiert ist«, entschuldigte sich das Mädchen. »Ich meine, wir hatten ja noch gar nicht richtig angefangen.«
»Er atmet jedenfalls«, sagte Rodney. »Seine Brust bewegt sich.«
»Ja, aber haben Sie diesen blauen Fleck bemerkt, da dicht hinter seinem Ohr?«
»Was für einen blauen Fleck?« Rodney beugte sich hinunter, um sich Bernies Hinterkopf genauer anzusehen. Und das war auch das letzte, woran er sich für längere Zeit erinnern sollte.
Leise läutete die Türglocke. Immer noch mit dem Kongo in der Hand ging Modesty Blaise aus dem Schlafzimmer, vorbei an dem bewußtlosen Dick und hinaus in den Flur. Alle drei Männer hatten jetzt blaue Flecken hinter dem Ohr. Sie nahm die Treppe ins Erdgeschoß und öffnete die Eingangstür, wo sie zwei Männer in Overalls und Arbeitsmützen einließ, die einen zusammengerollten chinesischen Teppich über den Schultern trugen. Sie schloß hinter ihnen die Tür und sagte: »Die Treppe hinauf und dann links, Willie.«
Kurz danach legten die beiden Männer den Teppich im Wohnzimmer auf den Boden. Professor Stephen Collier, der das hintere Ende getragen hatte, streckte sich und musterte Modesty Blaise mit verblüffter Miene. »Gütiger Gott im Himmel, du hast dir ja die Augen grün gefärbt!« rief er aus.
»Das sind doch nur grüne Kontaktlinsen, Steve«, beruhigte sie ihn. »Behalt deine Handschuhe an und faß hier nichts an.« Willie hatte inzwischen ein schmales Etui mit einer Spritze hervorgeholt und gab Dick eine Injektion. Collier hatte trockene Lippen, und die Schweißperlen auf seiner Stirn kamen keineswegs vom Tragen des schweren Teppichs. Er warf einen Blick auf Dick und zuckte zusammen, als er die rötlich verfärbte Schwellung hinter dessen Ohr sah, dann folgte er Modesty ins Schlafzimmer. Rodney lag auf dem Boden und war wie Bernie Chan auf dem Bett noch nicht wieder zu Bewußtsein gekommen.
Collier lehnte sich an die Wand und sah mürrisch zu, wie Modesty eines von Bernies Augenlidern mit dem Daumen zurückschob, um die Pupille zu betrachten. »In diesen Reizhöschen siehst du äußerst vulgär aus«, bemerkte er. »Mir gefällt das ganze hier überhaupt nicht.«
Sie erhob sich und starrte ihn entrüstet an. »Das ist ja wohl der Gipfel, Steve! Wer beklagt sich denn dauernd, daß er genug davon hätte, unseretwegen immer zufällig in Situationen hineinzugeraten, bei denen nur ein Wahnsinniger einen roten Heller auf unsere Überlebenschancen wetten würde? Wer hat denn gesagt, er möchte ganz gern bei einem kleinen, ungefährlichen Coup mitmachen, wenn wir ausnahmsweise wirklich einmal alles unter Kontrolle haben, sei es auch nur für kurze Zeit?« Sie zog sich ihren Rock über und machte den Reißverschluß zu. »Und wer hat gemeint, wir hätten ihn bis jetzt noch jedesmal reingelegt, weil er immer erst dann gemerkt hat, daß wir wieder einmal im Kampf mit gottlosen Verbrechern stehen, wenn ihm jemand ein Schlaginstrument über den Kopf zog? Wer wollte denn vor seinem Ableben eine Kostprobe etwas anderer Art erleben? Wer hat denn damit gedroht, eine Woche lang zu schmollen und sich aus Protest an den
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