Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
ihn wieder die Wut, und er sagte durch die zusammengebissenen Zähne hindurch: »Ich hätte euch
bestimmt
besiegt, verdammt noch mal! Zweimal hast du mich von hinten erwischt, du hinterlistiges Miststück, aber noch einmal würde dir das nicht mehr gelingen. Zu schade, daß ich keine Gelegenheit habe, dir das zu beweisen, aber zufällig lassen wir morgen unsere bisher größte Aktion steigen, und ich muß euch beide leider bei bester körperlicher Verfassung halten, damit wir eure Leichen zur Irreführung verwenden können.«
Er zog seinen Colt und begann, ihn zu überprüfen, wobei er die Handbewegungen dazu benutzte, seine Selbstbeherrschung wiederzugewinnen. Als er die Waffe ins Halfter zurückgleiten ließ, lächelte er, und es war beinahe ein echtes Lächeln.
»Ich werde größer sein, als ihr es jemals gewesen seid«, sagte er träumerisch. »Ich arbeite mit Leuten zusammen, die alles über Macht wissen, und ich begleite sie auf dem Weg ganz nach oben. Jetzt bin ich ein Profi unter Profis, und verglichen mit uns seid ihr beide bloß Amateure. Und in Bälde seid ihr tote Amateure. Aus und vorbei mit Modesty Blaise, mit der Schmalspur-Mam’selle. Und mit Willie Garvin und seinem weit überschätzten großartigen Ruf.« Er lachte auf. »Ihr seid schon traurige Gestalten. Da liegt ihr geschlagen am Boden, und ihr wißt noch nicht einmal, wer die
Watchmen
sind oder worum es uns überhaupt geht.«
Sie stieß einen leisen Seufzer aus und blickte ihn gelangweilt an, weil sie wußte, daß sie Oberons Rededrang um so mehr anstacheln würde, je weniger sie ihn zum Sprechen aufforderte. Wissen machte jeden Spieler stärker, wenn sein Blatt auch noch so schlecht war, und schon jetzt hatte sie von ihm erfahren, daß sie und Willie erst morgen sterben sollten. Und das war ein Wissen von unschätzbarem Wert. In der Gefahr eines direkt bevorstehenden Todes wäre Willie vielleicht in der Lage gewesen, seine Handfesseln zu zerreißen und schneller in Aktion zu treten, als jeder andere vermutet hätte, aber es wäre dennoch ein allerletzter Ausweg mit einer Wahrscheinlichkeit von eins zu tausend gewesen.
Wie auch Willie hörte sie Oberon beim Reden zu, schenkte ihm aber nicht ihre ganze Aufmerksamkeit, sondern speicherte seine Worte, um sie später im Geiste noch einmal ablaufen zu lassen und sie auf brauchbare Informationen zu sichten. Ihre Gefangennahme war ein brutaler Schock gewesen, überraschend und verwirrend, weil sie so unerwartet gekommen war, doch mittlerweile hatten sie den Schock überwunden.
Mit Hilfe von bewährten Psychotechniken hatten sie sich von der kräfteverzehrenden Angst freigemacht, wodurch sie die Möglichkeit bekamen, ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden, aus dem heraus sie am ehesten eine günstige Gelegenheit erfassen und mit ihren Fähigkeiten den größten Nutzen daraus ziehen könnten.
Oberons Stimmung wechselte andauernd zwischen seiner Wut über Erinnerungen an früher und der Euphorie über die gegenwärtige Situation, deswegen war es manchmal ein wenig schwer, seiner Mischung aus Beschimpfungen und hämischer Freude zu folgen, aber daran lag es nicht, daß sie ihm nur einen Teil ihrer Aufmerksamkeit widmete. Der Rest war mit der wesentlich wichtigeren Frage beschäftigt, wie ihre Gefangenschaft in den kommenden Stunden aussehen würde.
Während sie vom Kanu auf das Bohrschiff gebracht worden waren, hatte Earl St. Maur, der mit Major angesprochen wurde, zusammen mit einem Mann namens von Krankin das Kommando gehabt, der den gleichen Rang wie St. Maur zu haben schien. Im Lazarett hatten sie und Willie sich ausziehen und duschen müssen, bevor Dr. Jakoubek sie am Körper durchsuchte. Die Wachen wollten sie eigentlich mit Drahtschlingen fesseln, doch dann war ein Anruf vom Major gekommen. Danach hatte der Doktor einen neuen Befehl gegeben, und die Wachen hatten ein Bettlaken zerrissen, um daraus weniger feste Fesseln zu fertigen. Nun hatte Oberon gerade gesagt, daß sie und Willie während einer Aktion am nächsten Tag als tote
Watchmen
irgendwo abgelegt werden sollten, und es war anzunehmen, daß sie deshalb auch keine Zeichen ihrer Gefangenschaft davontragen durften.
Also würden sie von bewaffneten Männern, von den Profikillern der
Watchmen
schärfstens bewacht werden.
Aber sollte das alles sein? Beziehungsweise … sollte es überhaupt so sein? Man hatte sie darüber aufgeklärt, daß sie sterben würden, also mußte doch jeder, der ihren Ruf kannte, auch wissen, daß sie
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