Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
ich meine Beschatter heute zum ersten Mal direkt gesehen habe. In einem grauen Cortina. Als ich durch Greenwich fuhr, war ich hinter ihm. Vielleicht haben sie mich da gerade für eine Weile von vorne beschattet. Die Autonummer fing mit den Buchstaben GST an, was zufällig meine Initialen sind. Sonst wäre mir der Wagen auch gar nicht aufgefallen. Als ich dann wieder aus Piries Haus herausgekommen bin, war er ein Stück weiter am Straßenrand geparkt. Zwei Männer saßen drin. Ich habe sie nicht gut genug sehen können, um eine Beschreibung zu geben. Dann habe ich die A2 nach London genommen und auf dem Weg Ihren Zirkus auf der Wiese stehen sehen, da bin ich von der Autobahn abgefahren, weil ich das Gefühl hatte, ich könnte Sie hier antreffen. Als ich aus dem Büro gekommen bin, habe ich einen grauen Cortina bemerkt, der etwa fünfzig Meter von meinem Wagen entfernt geparkt steht, am Rande des Parks. Ich bin mir ganz sicher, daß es derselbe ist.«
»Mit zwei Männern drin?«
»Ich glaube schon. Ich habe natürlich nicht hingestarrt.«
Willie trat durch die offene Tür des Manegezelts und stieß einen Pfiff aus. Ein dunkelhäutiger, etwa vierzehnjähriger Junge mit schwarzen Locken tauchte auf. Willie sagte zu ihm: »Ich übertrage dir die Verantwortung für Ethel, also sorge dafür, daß sie ihr Abendessen bekommt, Pedro.«
»Sí,
señor
.« Der Junge platzte fast vor Stolz.
Willie führte Tarrant zwischen Zelten und Anhängern hindurch, bis sie zu einer Gruppe von Wohnwagen kamen. »Wo steht der Wagen jetzt?« fragte er dann.
»Direkt rechts von uns, etwa hundert Meter weit weg.«
»Gut. Dann können wir ihn uns von Györgys Wohnwagen aus mal näher ansehen.«
György war ein Ungar mit schmalem Gesicht und einem sorgfältig gezwirbelten Schnurrbart. Er begrüßte Tarrant höflich, als Willie die beiden miteinander bekannt machte, und nahm auf Willies Frage hin einen Feldstecher aus einer Schublade des hübsch möblierten und sehr gemütlichen Wohnwagens. »Wird es geben Ärger, Willie?« fragte er.
»Nicht für uns, György.« Garvin kniete sich an eins der Fenster, legte das Fernglas auf dem Fensterbrett auf und drehte an der Feineinstellung. Nach zehn Sekunden erstarrte er, und Tarrant hörte ihn stöhnen: »Oh, verdammt …« Es vergingen weitere Sekunden in völligem Schweigen, dann stand Willie wieder auf, gab György den Feldstecher zurück und setzte sich auf eines der Sitzkissen.
György sprach ihn an. »Dein Gesicht mir sagen, es doch gibt Ärger, Willie.«
»Es hat nichts mit dem Zirkus zu tun. Steckt das Telefonkabel?«
»Natürlich.« György erhob sich von seinem Schreibtisch und drehte ein Ende seines glänzenden Schnurrbarts zwischen den Fingern. »Ich nichts davon wollen wissen, Willie. Jetzt werden machen Spaziergang, Artisten bei Nummer zusehen.« Er verbeugte sich förmlich vor Tarrant. »Ich mich freuen, Sie kennenzulernen, Sir.«
Als sich die Tür geschlossen hatte, fragte Willie mit leiser Stimme: »Haben Sie jemals etwas von den polnischen Zwillingen gehört?«
»In welchem Zusammenhang?«
»Ist ja egal. Wenn Sie sie kennen würden, dann würden Sie diese Frage nicht erst stellen.«
»Also, erzählen Sie schon.«
»Sie müßten sie irgendwo in Ihren Akten haben. Zygmunt und Mikolaj Zdrzalkywicz. Zwillinge. Wahrscheinlich die beiden besten professionellen Killer der Welt. Sie können jede Zollkontrolle an den Grenzen passieren, ohne daß ihre Mordwaffen je gefunden werden, weil sie sie nämlich für jedermann sichtbar am Körper tragen. Ihre Hände, Sir G. Das ist alles, womit sie arbeiten. Sie berechnen zwischen fünfzehn- und zwanzigtausend Pfund pro Auftrag, pro Jahr erledigen sie etwa sieben bis acht solcher Jobs, und sie haben noch nie versagt. Sie lassen sich den vollen Betrag im voraus auszahlen, und wenn sie sich erst einmal an ein Opfer angehängt haben, dann lassen sie nicht mehr locker. Vor fünf Jahren haben sie einmal länger als ein halbes Jahr für einen Job benötigt. Wenn die polnischen Zwillinge einen Mordauftrag übernehmen, dann ist das Opfer praktisch schon tot.«
Tarrant zog seine Zigarrenschachtel aus der Tasche.
»Das klingt ja nicht sehr ermutigend«, sagte er. »Ob György etwas dagegen hat, wenn ich hier rauche?«
»Tun Sie sich keinen Zwang an.«
Tarrant wählte eine Zigarre, griff nach dem Abschneider, stutzte das Ende sorgfältig zurecht und nahm sich dann die Zeit, die dem Anzünden einer ›
Punch-Punch-Mild
‹ gebührte. Willie Garvin
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