Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
heißt.«
»Mohs-Test: M-O-H-S. Das ist eine Härteskala für Schleifmittel.«
»Aha. Ja, er sagte auch, es sei ein Härtetest.« Sie atmete tief ein. »Sie hatten ein Mädchen an Bord gebracht, eine jugendliche schwarze Heroinsüchtige, bis obenhin vollgepumpt mit Stoff, und dann Ben befohlen, sie mit einer Machete umzubringen. Da wußte Ben noch nicht, daß er enttarnt war. Er wußte nur, daß sie die Brücke explodieren lassen wollten, und er hat gedacht, wenn er mitspielte und sich nichts anmerken ließ, könnte er vielleicht noch an Land kommen und etwas dagegen unternehmen.«
»Aber welchen Sinn sollte der Test denn haben?«, fragte Willie voller Unbehagen mit leiser Stimme.
»Wenn sie doch inzwischen schon gewußt haben, wer er war?«
»Nur ein netter kleiner Scherz von Oberon. Ein kurzer, lustiger Zeitvertreib.«
»Oh, mein Gott.«
»Ja. Das war es also. Ben stand vor einer fürchterlichen Entscheidung. Das Leben einer Fixerin, die sie ohne Zweifel sowieso töten würden, oder das Leben all dieser Menschen, die sterben müßten, falls die Brücke einstürzte. Also … hat er sich entschieden. Und nachdem er es getan hatte, haben sie es ihm gesagt. Daß sie schon die ganze Zeit wußten, welche Rolle er spielte Er hat mir erzählt, daß er daraufhin Amok gelaufen ist und Oberon mit der Machete zu töten versucht hat, aber Szabo war darauf vorbereitet und hat auf ihn geschossen. Seine Waffe hatten sie ihm schon vorher abgenommen. Ben besaß nicht die geringste Chance.«
Willie hielt sie stumm in den Armen, und es lief ihm vor Entsetzen kalt den Rücken hinunter. Ebenso wie sie war er abgehärtet gegen die Gräßlichkeiten des Nahkampfes, gegen den Anblick von zerfetztem Fleisch und gebrochenen Knochen und blutigen Wunden, sowohl bei Freunden wie bei Feinden und auch bei sich selbst. Sie beide hatten mehr als einmal Menschen getötet, wenn sie vor der grimmigen Notwendigkeit standen, das eigene Leben oder das ihrer Freunde zu retten. Aber durch ihre Hände war noch niemand gestorben, der nicht böse und selbst ein Mörder war, und keinen hatten sie kaltblütig umgebracht.
Was man da mit Ben Christie getan hatte, war etwas anderes, etwas viel Schlimmeres als ein Mord, und ihrer beider Vorstellungskraft versagte vor dieser Schrecklichkeit.
Sie sprach weiter, immer noch mit erstickter Stimme. »Als wir im Wasser getrieben sind, da war er wie … wie ein Mensch in höchster Seelenqual. Er mußte immer wieder daran denken und weinte vor Schmerz über das, was er getan hatte.« Ihre Stimme zitterte.
»Ehrlich, Willie, ich wüßte nicht, ob er damit überhaupt hätte leben können. Als er dann Fieberphantasien bekam, habe ich ihm dauernd eingeredet, daß es bloß ein böser Traum gewesen war, daß in Wirklichkeit gar nichts passiert war. Vielleicht hat es ihm ein bißchen geholfen, ich weiß nicht.«
»Oh, das ist furchtbar, Prinzessin, das ist wirklich schlimm.«
Sie regte sich in seinen Armen, hob den Kopf, küßte ihn auf die Wange – einer der seltenen Zuneigungsbeweise zwischen ihnen –, dann stand sie forsch auf, wischte sich mit den Fingern die Tränen ab, schob das Haar mit beiden Händen nach hinten und warf ihm ein müdes, leicht verzerrtes Lächeln zu. »Dankeschön, Willie, mein Schatz. Tut mir leid, daß ich ein Stück davon auf dich abgeladen habe.«
»Wenn es dir geholfen hat.«
»Oh ja, das hat es. Ehrlich. Aber Casey hab ich es nicht erzählt, und ich werde es auch nicht tun. Ich erzähle es überhaupt niemandem, nicht einmal Kim.« Sie umfaßte ihre Ellenbogen und schob die Schultern ein wenig vor, als wäre ihr kalt. »Ich werde nicht zulassen, daß diese Sache mit in Bens Akte kommt, wenn sie sie abschließen. Wahrscheinlich war es das Größte und Tapferste, was er in seinem ganzen Leben gemacht hat, Willie. Aber in einem Bericht würde es sich ganz anders ausnehmen. Kannst du dir das vorstellen?«
»Ja, es würde so klingen, als wäre er ein Schlächter.«
Willie erhob sich. »So, wirst du jetzt ein bißchen schlafen?«
»Ja, aber ich mußte dir das vorher noch sagen.«
»Versteh schon. Leg dich jetzt hin, und ich bring dir eine heiße Milch mit einem Schuß Whisky ans Bett. Du kannst ein bißchen Wärme von innen ganz gut brauchen.«
»Tu einen Löffel Honig rein. In der Speisekammer ist welcher.«
»Mach ich.«
Fünf Minuten später saß er auf ihrem Bett und sah ihr zu, wie sie sich auf einem Ellenbogen aufstützte und die heiße Mischung schlürfte, die er
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