Mörderische Weihnachten
werden würden. Bisher hatte ich viel Glück gehabt. Daß ich wiedergeboren war, konnte ich auch nicht als großen Trost oder Hoffnungsschimmer ansehen.
Das Gebet dauerte nicht lange. Die Menschen setzten sich wieder hin. Abermals hörte ich die gleichen Geräusche, das Scharren der Füße auf dem Gestein, das Schnäuzen der Nasen, das tiefe Atemholen und die Bereitschaft, auf die Worte des Pfarrers zu warten. Er war ein Mann, der so gut redete. Ich wußte, daß er die Verstorbenen gekannt hatte, und erfand treffende Worte. Nicht zu schwülstig, zu aufgetragen, sondern schlicht. Und gerade in ihrer Schlichtheit waren sie ergreifend und auch passend.
»So wollen wir denn Abschied nehmen von zwei Menschen, die mehr als ihre Pflicht getan haben. Sie lebten als Christen, denn für sie waren die Mitmenschen nicht egal. Beide kümmerten sich um sie, und wer mit einer Bitte zu ihnen kam, dem wurde sie erfüllt. Durch die ruchlose Hand eines Mörders sind sie nun von uns gegangen…«
Er sprach noch weiter, aber ich hörte nicht mehr hin, denn mir war etwas aufgefallen.
Die Tür, durch die der Pfarrer getreten war, bewegte sich. Der Wind konnte es nicht sein, es herrschte kein Durchzug. Also wurde sie von außen geöffnet.
Möglicherweise warteten die Meßdiener schon und wollten schauen, wann die Feier zu Ende war. Sargträger konnten es nicht sein, denn die beiden Särge wurden von den Kollegen getragen.
Eine Hand schob sich plötzlich durch den Türspalt. Der Ärmel war hellrot wie das Gewand eines Weihnachtsmannes.
Und dann sah ich das Messer!
Der Täter hielt es mit zwei Fingern an der Spitze fest, hob den Arm an, um die Klinge zu schleudern.
Wahrscheinlich war ich der einzige der Trauergäste, der das sah. Die anderen schauten auf den Pfarrer, der die beiden Särge mit Weihwasser besprenkelte.
Meine Ahnung, mein Verdacht, das alles war nicht mehr nur leere Luft. Es gab den Killer noch.
Er war bereit, wieder zuzuschlagen.
Aber wen sollte er treffen?
»Harrison, in Deckung!« brüllte ich und startete selbst… Im Türspalt ging plötzlich eine gleißende Sonne auf. Dieses Licht kannte ich verdammt gut. Ich hatte es schon einmal erlebt, als man uns töten wollte.
Das Messer flog!
Harrison hatte seinen Namen verstanden. Er war jedoch so in Gedanken versunken gewesen, daß er viel zu spät reagierte und erst von seinem Sitz hochkam, als das Messer über die Särge hinwegflog und mit tödlicher Sicherheit sein Ziel fand. Harrisons Brust!
Das Entsetzen hatte die Trauergäste verstummen lassen. Nur drei Geräusche waren zu hören.
Meine Schritte, das schwere Ächzen des Getroffenen und das harte Zuschlagen der Tür.
Als ich Harrison erreichte, fiel er wieder zurück auf die Bank. Sein blauer Mantel war an der Vorderseite naß. Ich sah noch in sein Gesicht. Dort vermischten sich Unglauben und Schmerz miteinander, begleitet vom starren Blick seiner gläsern wirkenden Augen.
Um ihn sollten sich andere kümmern. Mir kam es darauf an, den Killer zu erwischen.
Ich rannte mit großen Schritten auf die Tür zu, hinter der der Mörder verschwunden war. Der Pfarrer hatte seinen Platz auch verlassen. Er wirkte verstört, wollte mich ansprechen, da hatte ich bereits nach der Kinke gefaßt und versuchte, die Tür aufzuziehen.
Sie war von außen abgeschlossen worden. Der Mörder hatte sich gut abgesichert. Ein Schatten huschte an mir vorbei. Es war Suko. Sein wilder Kampfschrei zitterte durch die Leichenhalle, im nächsten Augenblick donnerte seine Handkante gegen die Tür und hieb ein Loch hinein. Suko faßte durch und drehte den Schlüssel. Was sich hinter meinem Rücken abspielte, interessierte mich nicht. Ich folgte meinem Freund auf dem Fuß, blieb nach wenigen Schritten stehen und schaute mich um.
Wir waren in einem kleinen Raum gelandet, dessen Tür zum Friedhof hin nicht verschlossen war. Die Meßdiener fand ich auch nicht. So waren sie dem Mörder wenigstens nicht in die Quere gelaufen. Ich sprintete nach draußen. Die Umgebung hinter der Leichenhalle zeigte einen relativ dicht stehenden Baumwuchs. Plantanen, Kastanien und Eichen säumten die gepflegten Hauptwege und gaben einem Flüchtling auch genügend Deckung.
»Verdammt«, fluchte Suko. »Er ist uns entwischt.«
»Weit kann er noch nicht sein.« Ich schaute mich hastig um. »Los, du rechts, ich links.«
»Okay.«
Suko und ich verstanden uns ohne viel Worte, jetzt bewies sich wieder einmal, wie gut es war, ein eingespieltes Team zu sein. Ich konnte
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