Mörderspiel
vielleicht?“ Am liebsten hätte sie sich getreten für ihre Fragerei.
„Nein! Und jetzt musst du mich wirklich entschuldigen.“
„Sicher. Ich muß sowieso zu Brett zurück.“
Er presste die Kiefer zusammen, sagte jedoch nichts mehr, sondern wandte sich ab und eilte den Flur hinunter.
Sabrina zuckte heftig zusammen, als ihr jemand auf die Schulter tippte. Sie fuhr herum und sah sich Anna Lee gegenüber.
„Du hast das alles ganz falsch verstanden“, erklärte sie, und Sabrina entging nicht, dass sie zum vertraulichen Du überwechselte. Anna Lee warf ihr einen amüsiert abschätzigen Blick zu. In dem rosa Pullover und der knappen Jeans, die sich eng an ihren schlanken Körper schmiegte, wirkte sie besonders hübsch und feminin. Das sandblonde Haar fiel lockig um ihr klassisch schönes Gesicht.
„Ich habe alles falsch verstanden?“ wiederholte Sabrina.
„Mm.“
„Dann hattest du keine Affäre mit Jon, als Cassandra starb, sondern jetzt?“ erkundigte sie sich höflich.
Anna Lee lachte. „Nein, du hast es immer noch nicht begriffen.“
„Wieso?“
„Weißt du, ich hatte tatsächlich eine Affäre, als Cassie starb.“
„Ach ja?“ Sabrina hasste sich selbst dafür, dass sie so spröde und eifersüchtig klang, wo sie doch nichts weiter sein wollte, als berufsmäßig neugierig und gelassen.
Anna Lee fuhr sich lächelnd mit den Fingern durchs Haar. „Aber ich schlief damals nicht mit Jon.“
„Nein?“
Anna Lee lachte wieder, und Sabrina wurde klar, wie angespannt sie offenbar wirkte.
Anna Lee streckte eine Hand aus und strich ihr kurz über die Wange. „Ich schlief damals mit Cassie“, erklärte sie aufrichtig, jedoch immer noch amüsiert. „Aber komm nicht auf falsche Gedanken. Cassandra hatte Männer nicht etwa aufgegeben. Ich war nicht die Einzige, ich war nur eine unter vielen. Genauso wie sie nur eine von vielen bei mir war. Abwechslung ist die Würze des Lebens.“
„War Jon empört darüber?“ fragte Sabrina leise.
Anna Lee schüttelte den Kopf. „Er hat es gewusst. Cassie spielte ständig Menschen gegeneinander aus. Sie fragte ihn immer, ob er es mit uns beiden zusammen treiben wolle. Er war nicht interessiert. Nicht sehr schmeichelhaft, was? Ich hatte immer eine Schwäche für ihn. Und Cassie… nun ja, sie konnte Menschen dazu bringen, sie zu lieben. Was Jon anging, den hat sie wohl nur falsch eingeschätzt. Sie war ein Luder, aber sie war wunderschön.“ Damit ging sie lächelnd und hüftschwingend den Flur hinunter.
Sabrina fühlte sich sonderbar schwach. Es war Zeit, zu Brett zurückzukehren.
Anna Lees Verhältnis zu Jon hatte sich in gewisser Weise geklärt. Allerdings verstand sie immer noch nicht, welche Beziehung er zu Dianne Dorsey hatte.
Oder er zu ihr.
12. KAPITEL
S abrina blieb den ganzen Nachmittag bei Brett, froh, einen Freund zu haben, den sie einschätzen konnte. Zudem war sie besorgt, seine Kopfverletzung könne doch noch Spätfolgen zeigen.
Sie fühlte sich wie betäubt, doch zugleich irgendwie aufgedreht. Sie sehnte sich nach Jon, ärgerte sich aber über diese Sehnsucht. Mehr noch, sie wurde wütend, weil sie wartete und hoffte, dass er zu ihr kam.
Brett hatte einen Kassettenrekorder mitgebracht, und sie hörten sich das letzte Buch von Dean Koontz an, was vielleicht ein Fehler war, da es von einer jungen Frau handelte, die von einem irren Killer verfolgt wurde. Doch beim Zuhören verging die Zeit rasch. Und als die Cocktailstunde nahte, wurde eine Nachricht unter Bretts Tür durchgeschoben.
„Was steht drauf?“ erkundigte sich Brett. „Werden wir zu weiteren Spielen aufgefordert? Noch eine Séance? Die Nacht ist scheußlich genug dafür.“
„Nein, keine Spiele heute Nacht.“
„Was steht da?“
Sie las laut vor:
„Liebe Gäste, aufgrund des Sturmes, des Stromausfalls und der Unfälle, die uns bereits heimgesucht haben, werden die Tabletts mit dem Dinner auf die jeweiligen Zimmer geliefert. Bitte schließt euch heute Abend ein, und wir treffen uns alle morgen zum Brunch in der großen Halle. Das Rollenspiel wird aufgehoben, und wir werden alle unsere Sünden bekennen. Euer Gastgeber, Jon Stuart“
„Gut, dann schließt du dich mit mir ein, richtig?“
Sie küsste ihn auf den Kopf. „Falsch. Tatsache ist, ich verlasse dich auf der Stelle. Du liegst hier gemütlich und warm im Bett und ich…“
„Du kannst auch mit mir warm und gemütlich im Bett liegen.“
„Hast du noch ein anderes Audiobuch, das du dir anhören möchtest?
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