Molly Becker 01 - Hilfe, ich bin reich
anderen Kunden auch. Nett und höflich zwar, aber auch mit einem Schuss professioneller Überlegenheit. Und wenn jemand professionell und überlegen ist, dann hechtet er nicht zur Tür, sondern bleibt erst mal ganz ruhig sitzen und … arbeitet zum Beispiel hochkonzentriert an seinem Computer.
»Ja, bitte?«, sage ich möglichst lässig.
Ich höre, wie die Tür aufgeht, und vertiefe mich gleichzeitig in meinen Monitor, auf dem der Bildschirmschoner inzwischen ein rotes und ein blaues Gummibärchen gegeneinander Tennis spielen lässt.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie ein Mann zögernd den Raum betritt. Ich lasse meinen Blick noch zwei Sekunden lang auf dem roten Gummibärchen verharren, das gerade seinen ersten Aufschlag spielt, dann setze ich eine Miene auf, als müsste ich mich von etwas enorm Wichtigem losreißen. Ich drehe meinen Kopf, sehe ihn an und – schreie beinahe auf vor Überraschung.
Er ist es. Der Mann aus meiner Vision, der distinguierte Gentleman mit den angegrauten Schläfen und dem taubengrauen Zweireiher.
Ich meine, er sieht nicht ganz genau so aus, sein Haar ist nicht angegraut, sondern ganz grau, und sein Anzug ist kein Zweireiher, und auch die Nase ist irgendwie größer, aber vom Typ her – hundert Prozent distinguierter Gentleman!
Ich bin platt. Bin ich ein Medium? Habe ich hellseherische Fähigkeiten? »Guten Tag.« Der Mann ist unschlüssig an der Tür stehen geblieben. »Mein Name ist Meier. Wenn ich mich nicht irre, habe ich einen Termin bei Ihnen. Sie sind doch Frau Becker?«
Und erst die Stimme! Original Multimillionär, das höre ich sofort.
Ich fühle, wie alles in mir zu kribbeln beginnt vor Nervosität.
Reiß dich zusammen, Molly! Nur jetzt nichts falsch machen. Cool bleiben. Zeig ihm, was du draufhast!
»Ja, das bin ich«, höre ich mich krächzen. Nanu, wo ist denn meine Stimme auf einmal geblieben? Ich richte meinen Blick wieder auf den Bildschirm. Das rote Gummibärchen hat gerade den Aufschlag gewonnen und reißt jubelnd seine Stummelärmchen hoch.
»Ah, ich sehe schon«, sage ich. »Hans Meier, neun Uhr, richtig?«
»Richtig«, antwortet er höflich.
Ich erhebe mich schwungvoll aus meinem Stuhl und setze ein dynamisches Karrierefrauen-Lächeln auf, während ich den Schreibtisch umrunde. »Herzlich willkommen bei Winners only«, sage ich. »Bitte, nehmen Sie doch Platz!«
»Danke sehr«, sagt er, und zufrieden registriere ich, dass er einen verstohlenen Blick auf meine Beine wirft.
Ha, nicht schwul! Das läuft ja hervorragend. Dann wollen wir dem alten Herrn mal ein bisschen den Kopf verdrehen. Am besten setze ich mich direkt vor ihm auf die Schreibtischkante und schlage meine Beine übereinander, damit sie länger wirken, und dann werde ich …
»Molly, man braucht Sie in der Wellness-Lounge!«
Clarissa? Was will die denn jetzt hier?
Dann sehe ich ihr Kleid. Superkurz. Dagegen sieht meines ja aus wie aus der Mutter-Teresa-Kollektion. Und erst ihre Beine! Perfekt, absolut perfekt. Habe ich da etwas übersehen, haben wir auch Topmodel-Beine in unserem Angebot?
Sie steuert geradewegs auf Philip Vandenberg zu und reicht ihm die Hand. »Ah, ein neuer Kunde. Wie schön.«
»Meier, Hans Meier«, sagt der verdattert und erhebt sich kurz.
»Ich weiß, ich weiß«, flötet Clarissa in Tönen, die ich noch nie von ihr gehört habe. »Ich bin Clarissa – nennen Sie mich einfach beim Vornamen, wir wollen doch keine Förmlichkeiten, nicht wahr … Hans ?« Damit vollführt sie eine schwungvolle Drehung, platziert sich direkt vor ihm auf meinen Schreibtisch und schlägt wirkungsvoll ihre Beine übereinander.
Ich starre sie fassungslos an. Das ist doch mein Programm. Das wollte ich machen, er sollte auf meine Beine starren!
Auf einmal kapiere ich. Sie weiß es. Sie hat meine Termine durchgecheckt, und natürlich hat sie auch sofort kapiert, dass Hans Meier gar nicht Hans Meier ist. Und jetzt will sie ihn sich unter den Nagel reißen, ihm zeigen, dass sie die Nummer eins im Haus ist, oder mehr noch …
Das Einzige, was ihm noch fehlt, ist die richtige Frau an seiner Seite.
Clarissas Worte. Die geht gleich aufs Ganze, die will ihm nicht nur ihre Qualitäten als Chefin dieser Firma zeigen, sondern auch gleich noch ihre Qualitäten als Millionärsgattin.
Könnte mir eigentlich egal sein – nähme sie mir damit nicht die Chance zu beweisen, was ich kann.
Ich merke, wie ich innerlich zu kochen beginne.
Dieses Flittchen … diese gemeine … dämliche … doofe …
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