Momo
nicht von den Blumen und der Musik erzählen können.“ Und abermals nach einer Weile sagte sie: „Aber morgen gehen wir und suchen Gigi. Er wird dir bestimmt gefallen, Kassiopeia. Du wirst schon sehen.“ Aber auf dem Rücken der Schildkröte erschien nur ein großes Fragezeichen.
FÜNFZEHNTES KAPITEL: Gefunden und verloren
Am nächsten Tag machte Momo sich schon früh am Morgen auf, um Gigis Haus zu suchen.
Die Schildkröte nahm sie natürlich wieder mit. Wo der Grüne Hügel war, wußte Momo. Es war ein Villenvorort, der weit entfernt lag von jener Gegend um das alte Amphitheater. Er lag in der Nähe jener gleichförmigen Neubauviertel, also auf der anderen Seite der großen Stadt.
Es war ein weiter Weg. Momo war zwar daran gewöhnt, barfuß zu laufen, aber als sie endlich auf dem Grünen Hügel ankam, taten ihr doch die Füße weh.
Sie setzte sich auf einen Rinnstein, um sich einen Augenblick auszuruhen.
Es war wirklich eine sehr vornehme Gegend. Die Straßen waren hier breit und sehr sauber und beinahe menschenleer. In den Gärten hinter den hohen Mauern und Eisengittern erhoben uralte Bäume ihre Wipfel in den Himmel. Die Häuser in den Gärten waren meist langgestreckte Gebäude aus Glas und Beton mit flachen Dächern. Die glattrasierten Wiesen vor den Häusern waren saftiggrün und luden förmlich ein, auf ihnen Purzelbaume zu machen.
Aber nirgends sah man jemand in den Gärten Spazierengehen oder auf dem Rasen spielen.
Wahrscheinlich hatten die Besitzer keine Zeit dazu.
„Wenn ich nur wüßte“, sagte Momo zur Schildkröte, „wie ich jetzt herauskriegen kann, wo Gigi hier wohnt.“
„WIRST'S GLEICH WISSEN“, stand auf Kassiopeias Rücken.
„Meinst du?“ fragte Momo hoffnungsvoll.
„He, du Dreckspatz“, sagte plötzlich eine Stimme hinter ihr, „was suchst du denn hier?“
Momo drehte sich um. Da stand ein Mann, der eine sonderbare gestreifte Weste anhatte.
Momo wußte nicht, daß Diener von reichen Leuten solche Westen tragen. Sie stand auf und sagte: „Guten Tag, ich suche das Haus von Gigi. Nino hat mir gesagt, daß er jetzt hier wohnt.“
„Wessen Haus suchst du?“
„Von Gigi Fremdenführer. Er ist nämlich mein Freund.“ Der Mann mit der gestreiften Weste guckte das Kind mißtrauisch an. Hinter ihm war das Gartentor ein wenig offen geblieben, und Momo konnte einen Blick hineinwerfen. Sie sah einen weiten Rasen, auf dem einige Windhunde spielten und ein Springbrunnen plätscherte. Und auf einem Baum voller Blüten saß ein Pfauenpärchen. „Oh!“ rief Momo bewundernd, „was für schöne Vögel!“
Sie wollte hineingehen, um sie aus der Nähe zu betrachten, aber der Mann mit der Weste hielt sie am Kragen zurück. „Hiergeblieben!“ sagte er. „Was fällt dir ein, Dreckspatz!“ Dann ließ er Momo wieder los und wischte sich die Hand mit seinem Taschentuch ab, als habe er etwas Unappetitliches angefaßt. „Gehört das alles dir?“ fragte Momo und zeigte durch das Tor.
„Nein“, sagte der Mann mit der Weste noch eine Spur unfreundlicher, „verschwinde jetzt! Du hast hier nichts zu suchen.“
„Doch“, versicherte Momo mit Nachdruck, „Gigi Fremdenführer muß ich suchen. Er wartet nämlich auf mich. Kennst du ihn denn nicht?“
„Hier gibt es keine Fremdenführer“, erwiderte der Mann mit der Weste und drehte sich um. Er ging in den Garten zurück und wollte das Tor schließen, doch im fetzten Augenblick schien ihm noch etwas einzufallen.
„Du meinst doch nicht etwa Girolamo, den berühmten Erzähler?“
„Na ja, Gigi Fremdenführer eben“, antwortete Momo erfreut, „so heißt er doch. Weißt du, wo sein Haus ist?“
„Und er erwartet dich wirklich?“ wollte der Mann wissen.
„Ja“, meinte Momo, „ganz bestimmt. Er ist mein Freund, und er bezahlt für mich alles, was ich bei Nino esse.“ Der Mann mit der Weste zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf.
„Diese Künstler!“ sagte er säuerlich, „was sie doch manchmal für ausgefallene Launen haben! Aber wenn du wirklich glaubst, daß er Wert auf deinen Besuch legt: Sein Haus ist das letzte ganz oben an der Straße.“
Und das Gartentor fiel ins Schloß.
„LACKAFFE!“ stand auf Kassiopeias Panzer, aber die Schrift erlosch sogleich wieder.
Das letzte Haus ganz oben an der Straße war von einer übermannshohen Mauer umgeben.
Und auch das Gartentor war, ähnlich wie das bei dem Mann mit der Weste, aus Eisenplatten, so daß man nicht hineinsehen konnte. Nirgends war ein Klingelknopf oder ein
Weitere Kostenlose Bücher