Mona Lisa Overdrive
Null im kybernetischen Sinn keine Zahl und somit nicht zählbar ist, also selbst diese Differenz aufgehoben wird. Er spielt acht Jahre später vor demselben Hintergrund wie Band eins der Sprawl-Serie, ebenfalls im Cyberspace, und besteht aus drei miteinander verflochtenen Geschichten. Turner, ein Wesen, das um sich das Flair eines abgerissenen Privatdetektivs verbreitet, wird angeworben, um die Erfolge einer neuen Technologie der Maas-Biolaboratorien zu überwachen und endet mit einer Art Gangsterbraut im Sprawl von Boston-Atlanta. Marly, ein Wesen, dessen Haut in regelmäßigen Abständen aufleuchtet, wird von dem unglaublich wohlhabenden Josef Virek angeworben, um den Künstler einiger außergewöhnlicher Objekt-Collagen aufzuspüren. Und Graf Zero, der so gerne ein Kind der Straße sein möchte und die Weisheit, die er allmählich gewinnt, auch dringend nötig hat, wird dazu abgestellt, eine ominöse Technologie wieder zum Leben zu erwecken. Dreh-und Angelpunkt der drei Stränge sind die unterschiedlichen Bemühungen, in den Cyberspace
einzugehen, was die völlige Loslösung von allem Körperlichen voraussetzt. Virek gelingt es schließlich, doch schneidet er sich damit den Rückweg in seinen eigenen, für tot erklärten Leib ab. Besser dran ist die Tochter eines Angestellten der Biolaboratorien, der für Virek nach einem alternativen Weg in den Cyberspace suchte, über Biochips nämlich. Sie erhält sie implantiert, womit sie zur wandelnden Inkarnation des Cyberspace wird, ein rein kybernetisches Gebilde aus Fleisch und Blut. Die mechanische Struktur der Menschmaschine, die Gibsons Texten bis dahin unterlegt war, wird mittels der Verkehrung zur Matrix selbst dessen erklärt, was aus Zellgewebe besteht. Schaltkreise werden durch Adern und Nerven ersetzt.
Der vorliegende Roman, 0RQD /LVD 2YHUGULYH dessen Original Mitte 1988 unter gleichem Titel erschien, bildet den Abschlußband des Sprawl-Zyklus, der damit in drei Romanen und drei Erzählungen geschlossen auf deutsch im Wilhelm Heyne Verlag vorliegt. Fünfzehn Jahre sind seit den Ereignissen in 1HXURPDQFHU und sieben seit denen in &RXQW =HUR vergangen, und Gibson zeigt seine Vision eines einundzwanzigsten Jahrhunderts, dessen äußerer Perfektion eine ebenso detaillierte Innenausarbeitung entspricht. Entwickelt sich die Handlung im vorangegangenen Roman noch auf drei Ebenen, so sind es nun deren vier, die abwechselnd ins Bild gerückt werden: eine nach London versetzte junge Frau, ein roboterfabrizierender Schundkünstler, ein Sense/Net-Star und Mona, eine Teenager-Prostituierte, die aus Cleveland floh und in schlechte Gesellschaft gerät. Darüber hinaus tauchen auch eine Anzahl vertrauter Figuren wieder auf, die spiegeläugige Killerin Molly, der Count selbst und die ehrbare 3Jane Tessier-Ashpool, ganz zu schweigen von den ORDV — Voodoo-Manifestationen, die seit der erst kürzlich eingetretenen, rätselhaften >Wende< den Cyberspace heimsuchen. Es ist Molly, jene Figur, die den Autor seit »Johnny Mnemonic« (1981) nicht mehr losgelassen hat, die nun die verschiedenen
Handlungsfäden zusammenführt. Trotz seiner zynisch anmutenden Intrigen und krimihaften
Enthüllungen ist 0RQD /LVD 2YHUGULYH jedoch nicht bloß ein Roman um Ränke, Ideen und
Abenteuer. Es drückt sich auch ein Hang zur Romantik aus, der stärker als in den vorherigen Büchern den Autor in die von ihm entwickelte Handlung einzubeziehen scheint.
Ein Beispiel dafür ist die Figur des Schundkünstlers Thomas Gentry, unschwer als Alter Ego des Autors zu erkennen, der versucht, die totale Form zu finden, freilich nicht indem er Prognosen, sondern indem er Diagnosen der Zeit erstellt, ein Unterfangen, das Gibson selbst über die Konstruktion seiner Texte zum Ausdruck bringt. Die ausgefallensten Ideen in seinen Büchern, für die er nicht oft genug gerühmt werden kann, finden eigener Aussage nach bereits statt und sind nur leicht futuristisch überpinselt. In &RXQW =HUR das er in Mexiko zu schreiben begann, spielt eine Szene in einer Kunstgalerie, wo Kunsthändler Anteile an einem Werk erwerben, ein Vorgang, der sich in der Realität als reine Geldanlage längst abspielt. Bei Joseph Cornell wiederum, der im selben Buch erwähnt wird, handelt es sich um eine real existierende Person, die ihr Leben lang im Haus der Mutter in einem New Yorker Vorort gelebt und sich darauf spezialisiert hat, aus Ramsch und Müll kleine Kästen von Zigarrenkisten-bis
Waschmittelpaketgröße zu bauen. Er wird von
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