Mona Lisa Overdrive
der Wintersonne blitzte. Sie trug eine enge dunkelbraune Wildlederhose und eine wuchtige schwarze Jacke mit hochgestelltem Kragen; teure Klamotten. Mit ihrem kurzen schwarzen Haar hätte man sie für einen Jungen
halten können.
Zum ersten Mal seit der Abreise von Tokyo bekam Kumiko Angst.
Die Energie, die in der Frau steckte, war beinahe greifbar, geballter Zorn, der jeden Moment losknallen konnte.
Kumiko schob die Hand in die Tasche und drückte das Maas-Neotek Gerät; sofort erschien Colin und ging flott neben ihr einher, die Hände in die Jackentaschen gesteckt; seine Stiefel hinterließen keine Abdrücke im schmutzigen Schnee. Nun ließ sie das Gerät wieder los, und er verschwand, aber sie war damit beruhigt. Sie brauchte keine Angst mehr zu haben, Sally Shears zu verlieren, mit der sie kaum mithalten konnte; der Geist könnte sie bestimmt wieder zu Swains Haus führen. 8QG ZHQQ LFK LKU GDYRQODXIH dachte sie, ZLUG HU PLU KHOIHQ Die Frau stach durch den fließenden Verkehr an einer Kreuzung und zog Kumiko gedankenverloren vor einem dicken schwarzen Honda Taxi zurück, wobei sie dem beim Passieren irgendwie auch noch einen Tritt gegen den Kotflügel verpaßte.
»Trinkst du?« fragte sie, während sie Kumiko am Unterarm hielt.
Kumiko schüttelte den Kopf. »Bitte, du tust mir weh am Arm.«
Sally lockerte ihren Griff, aber bugsierte Kumiko durch eine schmuckvolle Mattglastür in einen warmen, lauten Raum, einen Schlauch voller Leute, der mit dunklem Holz und abgenutztem rehbraunen Velours verkleidet war.
Bald saßen sie einander gegenüber an einem Marmortischchen mit einem Bass-Ascher drauf,
einem dunklen Bier, dem Whiskyglas, das Sally auf dem Weg vom Tresen hierher geleert hatte, und einem Glas Orangensaft.
Kumiko bemerkte, daß die silbernen Gläser ohne sichtbare Nahtstelle auf der Haut auflagen.
Sally griff nach dem leeren Whiskyglas, kippte es, ohne es vom Tisch zu heben, und betrachtete es kritisch. »Ich bin deinem Vater mal begegnet«, sagte sie. »War noch nicht so hoch auf der Leiter, damals.« Sie ließ das Glas los und griff nach dem Dunklen. »Swan sagt, du bist halb JDLMLQ Sagt, deine Mutter war Dänin.« Sie trank einen Schluck Bier. »Siehst nicht so aus.«
»Sie ließ meine Augen ändern.«
»Steht dir.«
»Danke. Und deine Brille«, sagte sie automatisch, »ist sehr hübsch.«
Sally zuckte die Achseln. »Hat dein alter Herr dich schon Chiba sehn lassen?«
Kumiko schüttelte den Kopf.
»Klug. Hätt ich an seiner Stelle auch nicht.« Sie trank mehr Bier. Ihre Nägel, die offenbar aus Acryl waren, hatten die Farbe und den Glanz von Perlmutt. »Sie haben mir das mit deiner Mutter gesagt.«
Kumiko wurde rot und senkte den Blick.
»Das ist nicht der Grund für dein Hiersein. Weißt du das? Er hat dich nicht wegen ihr zu Swain verfrachtet. Es läuft 'n Krieg an. Zwischen den Yakuzabossen* hat's keinen Fight mehr *Yakuza: jap. Gangster. — $QP G hEHUV
gegeben, seit ich auf der Welt bin, aber jetzt ist es soweit.« Das leere Glas klirrte, als Sally es hinstellte. »Kann dich nicht brauchen, das ist alles. Wärst 'ne zu einfache Beute. Jemand wie Swain ist recht weit weg vom Schuß, was Kanakas Rivalen angeht. Drum ist dein Paß auf'n andern Namen ausgestellt, richtig? Swain schuldet Kanaka was. Also ist alles okay, nicht?«
Kumiko merkte, daß ihr heiße Tränen kamen.
»Okay, es ist also nicht okay.« Die perlmutt'nen Nägel
trommelten auf dem Marmor. »Sie hat also ein Ende gemacht, und dir geht's nicht gut. Fühlst dich schuldig, was?«
Kumika schaute auf in zwei Spiegel.
In der Portobello drängten sich die Touristen wie im Shinjuku. Sally Shears, die darauf bestanden hatte, daß Kumiko den Orangensaft trank, der warm und fad geworden war, führte sie in die überfüllte Straße. Kumiko fest im Schlepptau, bahnte Sally sich einen Weg, vorbei an Klapptischen auf Stahlrohrgestellen, die mit zerrissenen Samtvorhängen und abertausend Sachen aus Silber und Bleikristall, Messing und Porzellan bedeckt waren. Kumiko machte große Augen, als Sally sie an einem Aufgebot von Krönungstellern und bauchigen Churchill-Teekannen vorbeischleppte. »Lauter *RPL© meinte Kumiko dazu, als sie an einer Kreuzung stehenblieben.
Schrott. In Tokyo wurde altes, nutzloses Zeug zum Landauffüllen verwendet. Sally grinste
verwegen. »Wir sind hier in England. *RPL ist ein wichtiger natürlicher Rohstoff. *RPL und Talent. Und genau das suche ich gerade: Talent.«
Das Talent trug einen
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