Mona Lisa Overdrive
was andere ihn hielten.
Nun, dachte sie, egal; sie züchtete keinen Katfisch mehr in Cleveland, und keiner würde sie je wieder nach Florida kriegen.
Sie erinnerte sich an den Alkoholofen, die kalten Wintermorgen, den Alten, der sich in den schweren grauen Mantel duckte. Für den Winter klebte er eine zweite Plastikschicht über die Fenster. Der Ofen reichte dann aus, um den Raum zu beheizen, denn die Wände waren mit Spanplatten auf Hartschaum verkleidet. Wo der Hartschaum hervorschaute, konnte man mit dem Finger reinbohren, Löcher machen; wenn er einen dabei erwischte, brüllte er los. Mehr Arbeit war es, die Fische in der Kälte warmzuhalten. Man mußte Wasser aufs Dach pumpen, wo die Sonnenkollektoren waren, in die durchsichtigen Plastikschläuche. Aber die organischen Stoffe, die sich auf den Beckenrändern zersetzten, brachten auch was. Wenn man einen Fisch mit dem Kescher herausholte, dampfte es. Den Fisch tauschte er gegen andere Nahrungsmittel, gegen das, was andere zogen und züchteten, Alkohol für den Ofen und für den Magen, Kaffeebohnen, Abfälle zum Füttern der Fische. Er war nicht ihr Vater und hatte ihr das oft gesagt, wenn er überhaupt mal redete. Manchmal überlegte sie noch, ob er's mal gewesen sein mochte. Als sie ihn das erste Mal gefragt hatte, wie alt sie sei, sagte er sechs, also zählte sie von da ab.
Sie hörte die Tür hinter sich aufgehn und drehte sich um. Prior war da, hatte die goldene Plastikschlüsselkarte in der Hand und zeigte sein Lächeln hinterm Bart. »Mona«, sagte er und trat ein, »das hier ist Gerald.« Groß, Chinese, grauer Anzug, graumeliertes Haar. Gerald lächelte, rückte hinter Prior ins Zimmer und ging schnurstracks zum Schubladenschrank gegenüber dem Fußende des Bettes. Stellte eine schwarze Tasche hin und machte den Schnappverschluß auf.
»Gerald ist'n Freund. Arzt, der Gerald. Muß dich checken.«
»Mona«, sagte Gerald, der etwas aus der Tasche herausnahm, »wie alt bist du?«
»Sie ist sechzehn«, sagte Prior. »Stimmt's, Mona?«
»Sechzehn«, wiederholte Gerald. Das Ding in seiner Hand sah aus wie eine dunkle Brille,
Sonnenbrille mit Zeugs dran und Drähten. »Leicht übertrieben, was?« Er sah Prior an.
Prior lächelte.
»Hast was unterschlagen, zehn Jahre?«
»Nicht ganz«, sagte Prior. »Wir verlangen keine Perfektion.«
Gerald schaute sie sich an. »Die kriegt ihr nicht.« Er zog die Brille über die Ohren und drückte einen Knopf. Ein Licht ging an unter der rechten Linse. »Aber es gibt verschiedene Grade der Annäherung.« Das Licht fiel auf sie.
»Wir reden von Kosmetik, Gerald.«
»Wo ist Eddy?« fragte sie, während Gerald näherkam.
»In der Bar. Soll ich ihn rufen?« Prior griff zum Telefon, aber legte, ohne zu wählen, wieder auf.
»Was ist das?« Sie wich vor Gerald zurück.
»Eine medizinische Untersuchung«, erklärte Gerald. »Tut nicht weh.« Er hatte sie zwischen sich und dem Fenster eingeklemmt. Die Schultern über dem Handtuch drückten gegen das kalte Glas.
»Jemand hat 'nen Job für dich und zahlt sehr, sehr gut; man muß sicherstellen, daß du gesund bist.« Das Licht schien in ihr linkes Auge. »Sie nimmt irgend was. Aufputschmittel«, sagte er zu Prior in einem ganz andern Tonfall.
»Möglichst nicht blinzeln, Mona.« Das Licht wanderte in ihr rechtes Auge. »Was ist es, Mona?
Wieviel hast du genommen?«
»Wiz.« Sie zuckte vor dem Licht zusammen.
Er griff ihr mit der kühlen Hand unters Kinn und stellte den Kopf gerade. »Wieviel?«
»Einen Kristall ...«
Das Licht war aus. Sein glattes Gesicht war ganz nahe. Die Brille war mit Linsen bestückt, mit Schlitzen, kleinen Antennen aus schwarzem Metallgeflecht. »Man weiß nie, wie rein das Zeug ist«, sagte er.
»Total rein«, sagte sie kichernd.
Er ließ ihr Kinn los und lächelte. »Dürfte dann kein Problem sein«, sagte er. »Mach doch mal den Mund auf, bitte.«
»Mund?«
»Ich will die Zähne sehn.«
Sie schaute Prior an.
»Glück gehabt«, sagte Gerald zu Prior, nachdem er mit dem kleinen Licht in ihren Mund
geschaut hatte. »Ziemlich guter Zustand und der gewünschten Form ähnlich. Keine Kronen,
Füllungen.«
»Wir wußten, daß wir auf dich zählen können, Gerald.«
Gerald nahm die Brille ab und sah Prior an. Er ging zur schwarzen Tasche und steckte die Brille weg. »Haben auch Glück mit den Augen. Sehr ähnlich. Bloß 'ne Umfärbung.« Er nahm eine Folienpackung aus der Tasche, riß sie auf und rollte sich den fleischfarbenen sterilen
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