Mona Lisa Overdrive
uralten, total öden Ladenfront stehen. In den zwei Schaufenstern glänzte eine üppige Staubschicht. Kumiko, die hineinspähte, entdeckte die Neonlettern einer finsteren Leuchtreklame: METRO und noch'n längeres Wort. Die Tür zwischen den Fenstern war mit Wellblech verstärkt. In Abständen standen rostige Ringbolzen ab, an denen schlappe Schlingen aus galvanisiertem scharfkantigen Draht aufgespannt waren.
Nun stellte sich Sally vor die Tür, hob die Schultern und vollführte einen schwungvollen Reigen aus kleinen, flinken Gesten.
Kumiko machte große Augen, als sie die Zeichen ein zweites Mal sah. »Sally...«
»Unsre Lalle«, sagte Sally. »Ich sagte aber, du sollst den Mund halten, okay?«
»Ja-ha?« Die Stimme, ein bloßes Flüstern, war nicht zu lokalisieren.
»Hab ich mich nicht deutlich ausgedrückt?« meinte Sally.
»Kenn die Lalle nicht.«
»Ich will mit ihm reden«, sagte Sally in rauhem, sorgfältig abgestimmtem Ton.
»Er ist tot.«
»Das weiß ich.«
Schweigen folgte, und Kumiko hörte ein Geräusch wie von Wind, von sandbeladenem Wind, der um die Kurven der geodätischen Kuppeln hoch droben pfiff.
»Er ist nicht da«, sagte die Stimme. Sie erklang nun weiter weg. »Um die Ecke, halber Block, links in die Gasse.«
Kumiko würde die Gasse nie vergessen: dunkler schlüpfrig-feuchter Backstein, behaubte Ventilatoren, die schwarze Schmutzfahnen angesetzt hatten, eine gelbe Glühbirne in einem rostigen Metallkorb, die Mulchschicht aus leeren Flaschen auf beiden Mauerseiten, die mannshohen Berge aus zerknülltem Fax und weißen Styroporverpackungen und das Klappern von Sallys Hacken.
Hinterm dämmrigen Schein der Glühbirne war es finster, obwohl der Widerschein auf nassem Backstein eine Schlußmauer sichtbar werden ließ: Sackgasse. Kumiko zögerte, erschrak bei dem plötzlichen Echo, dem Geraschel, dem ständigen Wassergetröpfel...
Sally hob die Hand. Ein schmaler greller Lichtkegel warf einen scharf begrenzten Kreis auf beschmierten Backstein und sank allmählich tiefer.
Sank, bis er das Ding am Fuße der Mauer fand, mattes Metall, länglich-rundes Ding, das Kumiko für noch eine Ventilatoröffnung hielt. Darunter waren weiße Kerzenstummel, eine flache Plastikflasche mit klarer Flüssigkeit, diverse Zigarettenschachteln und diverse einzelne Zigaretten, eine aufwendige, vielarmige Gestalt, die offenbar mit pulverisierter weißer Kreide gestaltet war.
Sally trat vor, hielt das Licht darauf, und Kumiko sah, daß die gepanzerte Platte mit massiven Bolzen in die Backsteinmauer eingelassen war. »Finne?«
Kurzes Aufleuchten von pink Licht in einem waagrechten Schlitz.
»Hey, Finne, Mann ...« Ungewohntes Zaudern in ihrer Stimme...
»Moll.« Ein Krächzen dabei wie von einem kaputten Lautsprecher. »Was soll das Licht? Hast du noch die Verstärker drin? Wirst langsam alt, siehst nicht mehr gut im Dunkeln?«
»Ist für meine Freundin.«
Irgend etwas bewegte sich hinterm Schlitz, das blasse Rot glühender Zigarettenasche in der Mittagssonne, und Kumikos Gesicht wurde von einem Lichtblitz angestrahlt.
»Ja«, krächzte die Stimme. »Wer ist die denn?«
»Yanakas Tochter.«
»Echt?«
Sally senkte das Licht; es fiel auf die Kerzen, die Flasche, die feuchten grauen Zigaretten, das weiße Symbol mit den spindeldürren Armen.
»Bedient euch von den Gaben«, sagte die Stimme. »Ist'n halber Liter Moskovskaya. Voodoo—Zeichen ist Mehl. Was für'n Pech auch. Die Spendableren nehmen für ihre Bilder Kokain.«
»Herrgott«, sagte Sally merkwürdig entrückt und hockte sich hin, »ich kann's nicht fassen.«
Kumiko verfolgte, wie sie die Flasche nahm und daran schnüffelte.
»Trink nur! Vom Feinsten. Soll's auch sein. Niemand bescheißt das Orakel, wenn er weiß, was gut für ihn ist.«
»Finne«, sagte Sally, setzte die Flasche an und nahm einen Schluck, woraufhin sie sich mit dem Handrücken über den Mund wischte, »du mußt echt irre sein ...«
»Schön war's. Auf so'n Gerät bin ich nur scharf, weil's mir ein bißchen Phantasie gibt. Von irre kann keine Rede sein.«
Kumiko kam näher und hockte sich neben Sally.
»Ist es eine Konstruktion, Persönlichkeitskonstruktion?« Sally stellte die Wodkaflasche weg und rührte mit weißer Fingernagel spitze im feuchten Mehl.
»Klar, ist doch nichts Neues für dich. Echtzeitgedächtnis, wenn ich will, Anschluß an Cyberspace, wenn ich will. Mach diesen Orakel-Job, um am Ball zu bleiben, verstehst du?« Das Ding gab ein komisches Geräusch ab:
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