Mond der Unsterblichkeit
Amber, ey! Kannste nicht klopfen?“, fuhr er sie an, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.
„Ich habe geklopft, du hast nur nichts mitbekommen. Heute nicht online spi e len? Bist du krank?“ Sie klopfte freundschaftlich auf seine Schu l ter.
„Nein, will mich nur informieren“, murmelte er.
„Worüber denn?“
Er antwortete nicht. Aus den Lautsprechern ertönte sphärische Musik, die an eine dramatische Szene in Hollywoodfilmen erinnerte. Dann tauchte ein Gesicht aus dem Nichts auf, ein Vampir mit funkelnden Augen.
„Ein neues Spiel?“ Fasziniert beobachtete Amber die Animation auf dem Bil d schirm, die fast ausschließlich aus dunklen Farbtönen bestand und einen düst e ren Eindruck vermittelte.
„Nein“, antwortete er unwirsch, „ich informiere mich über Vampire und We r wölfe.“
„Wozu denn das?“
„Hier“, sagte er, und hielt ihr ein Buch entgegen, „hab ich vorgestern gekauft.“
„Die Legenden von Clava Cairn“, las Amber vor.
Auf dem Cover war der Steinkreis abgebildet, über dem die Mondsichel leuc h tete. Amber zog einen zweiten Stuhl neben Kevin. Dann blä t terte sie in dem Buch. Bereits nach dem Vorwort folgte ein historischer Abriss, der auch eine Kurzbiografie von William Macfarlane beinhaltete.
Ungeduldig riss Kevin ihr das Buch aus den Händen. „Mann, du sollst nicht nur blättern, sondern lesen. Hier!“
„Ich lese es morgen“, versprach Amber.
„Morgen könnte alles zu spät sein.“ Kevin betonte jedes Wort und begann, Amber über den Inhalt zu erzählen. Seine Stimme überschlug sich fast vor Err e gung. „Da steht, dass Aidans Urahn William im 8. Jah r hundert lebte und der Sohn einer Hexe war. Er erbaute Gealach Castle, wegen der Bedrohung durch die einfallenden Wikinger. Die Nor d männer waren ihm haushoch überlegen. Er und seine Männer verloren jeden Kampf. Alles schien hoffnungslos, bis seine Mutter ihm vorschlug, ein Bündnis mit der Schattenwelt einzugehen, um Stärke zu gewinnen. Bei jeder Mon d finsternis nämlich, immer an einem heiligen Ort, öffnet sich für eine Nacht das Tor zur Schattenwelt. Und solch ein Ort war Cl a va Cairn. Williams Mutter schaffte es, mithilfe der Magie das Tor zu öffnen. Eine schöne Frau trat aus der Schatte n welt, in die William sich auf den ersten Blick verliebte. Sie war Satans Tochter. Er bat sie um Hilfe gegen die Wikinger. Sie versprach ihm zu helfen, verlangte aber als Gegenleistung Blut. William, der ihr verfallen war, brachte ihr Menschen, damit sie ihren Blutdurst stillen konnte. William gelang es mit ihrer Hilfe, die Wikinger aus dem Land zu vertreiben. Se i ne Untertanen fürchteten sich vor der Frau aus der Schattenwelt und wol l ten sie töten. Sie wussten nichts von ihrer Unsterblichkeit, aber William. Und der wollte es auch sein, weshalb er sich von ihr durch einen Blutkuss unsterblich machen ließ. Von nun da an beherrschte auch ihn der Blutdurst. Seine Untertanen wol l ten diese blutrünstige Tyrannei nicht mehr ertragen. Ein Druide verbannte Will i am und seine Dämonin zurück in die Schattenwelt. Wi l liam schwor Rache. Noch immer fürchten sich alle vor seiner mögl i chen Rückkehr.“
„Ein schrecklicher Zeitgenosse. Und du glaubst, dass das wirklich wahr sein könnte?“
„Klar. Ich habe im Internet recherchiert. In vielen Ländern gab es Menschen, die das Blut ihrer Opfer getrunken haben oder gar deren Fleisch aßen. Da gab es in Rumänien diesen Vlad Tepes, der den Be i namen Dracul trug. Schriftsteller wie Bram Stoker haben aus dieser G e schichte ihre Ideen geschöpft.“ Zwischendurch klickte Kevin immer wieder eine Internetseite an, um seine Worte mit Beweisen zu unte r mauern.
„Und jetzt glaubst du, dass Gordon Macfarlane William nacheifern könnte? Klingt plausibel, aber auch total abgedreht.“
„Stell dir vor, er besitzt das Wissen der Druiden und kann das Tor zur Scha t tenwelt wieder öffnen. Oh, Mann! Echt abg e fahren.“
„Quatsch, du hast zu viel Stargate gesehen. So was gibt es nicht.“
„Vielleicht doch? Jedenfalls versuchen die was mit diesen selts a men Ritualen. Und mir schwant nichts Gutes.“
Amber gab ihm recht. Auch sie hatte ein merkwürdiges Gefühl. Aber sie glaubte eher an kriminelles Handeln als an Vampirismus. Aidan dur f te nicht die Augen vor der Realität verschließen. Er musste doch erke n nen, dass sein Vater sich auf einem gefährlichen Pfad befand.
11.
E inziger Lichtblick an diesem Tag war die Probe des
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