Mondlaeufer
ihn vor jeder Verlegenheit. Der alte Mann bestand darauf, einen ungewohnt weitschweifigen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Handelsflotte in den Prinzenreichen abzugeben. Alle nutzten Lleyns Handelsschiffe, also mussten alle aufmerksam zuhören. Rohan segnete ihn im Stillen und hatte dabei ein Auge auf seine Wasseruhr.
Sie war eine neue Erfindung, zuverlässiger als die alten Sanduhren. Sand schliff das Glas ab, während er hindurchlief, wodurch die Tage kürzer wurden. Die Zeit tropfte hier in Form von Wasser aus einer Kugel durch ein Loch in einem makellosen Rubin in eine weitere Kugel, auf der regelmäßige Markierungen angebracht waren. Als luftdichter Scharnierdeckel für die obere Glaskugel diente ein goldener Drache mit Smaragdaugen. Rohan hatte sich die Uhr vor zwei Jahren anfertigen lassen, nachdem ihm ein fironesischer Meister seine Idee beschrieben hatte. Eines seiner Ziele war es, viele solcher Uhren herstellen zu lassen und auf den Markt zu bringen. Doch als Lleyn seinen Vortrag immer weiter herunterleierte und sich in keiner der beiden Kugeln ein erkennbarer Unterschied am Wasserspiegel abzeichnete, zweifelte Rohan allmählich daran, ob die exakte Zeitmessung überhaupt so eine gute Idee war. Warten war Warten, ganz egal, wie man die Zeit abmaß.
Kurz nach dem fünften Strich auf der Uhr schlüpfte eine Wache in Wüstenblau ins Zelt und kam zu Rohans Stuhl herüber. Lleyn überließ Rohan sofort das Wort, ohne sich im Geringsten anmerken zu lassen, dass er zu einem ganz bestimmten Zweck so lange gesprochen hatte. Rohan dankte dem Prinzen von Dorval für seine wertvollen Ausführungen und wandte sich dann an die anderen Prinzen.
»Liebe Vettern! Gestern bat Lyell von Waes darum, ihm ein wenig von unserer Zeit zu schenken. Wir alle wissen, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn ein Athri etwas zu sagen hat.« Er lächelte etwas, um anzudeuten, dass Lleyns Worten dieselbe Bedeutung zukam wie dem altbekannten Gejammer eines unzufriedenen Vasallen. »Sollen wir ihn anhören?«
»Wenn es nicht zu lange dauert, warum nicht, meine Herren?«, meinte Cabar gedehnt und wurde von einigen anderen beinahe unverhohlen erwartungsvoll angegrinst.
Davvi sagte freundlich: »Vielleicht sollten wir unsere Erben dazuholen. Unsere Söhne werden daheim ausgebildet und bei ihren Pflegeherren gut geschult, doch es gibt keinen Ersatz dafür, den Regenten bei der Arbeit zuzusehen.«
»Ausgezeichnete Idee«, sagte Clutha. »Dann kann mein Junge mal sehen, wie sich Prinzen benehmen. Eine Lektion, die er bitter nötig hat«, schloss er verdrießlich.
Es gab keine Einwände, obwohl am diesjährigen Rialla nur vier Erben teilnahmen. Volog und Pimantal bedauerten es sichtlich, ihre ältesten Söhne nicht mitgebracht zu haben; Veldens und Cabars Jungen waren noch zu klein. Miyon war unverheiratet, hatte allerdings Gerüchten zufolge schon zahlreiche Kinder in die Welt gesetzt.
Rohan begegnete Davvis Blick und bemerkte in dessen grünen Augen, die Sioneds so ähnlich sahen, einen unschuldig listigen Ausdruck. Wortlos ließ er ihn wissen, dass er den Trick zu schätzen wusste. Pol war der Erbe, und es war notwendig, dass alle ihn sehen und mit dem Mann vergleichen konnten, den Lyell zweifellos als Höhepunkt seiner Rede vorstellen würde. Es gab eine kurze Pause, während der man Pagen losschickte, um Chadric, Kostas, Halian und Pol zu holen. Rohan nutzte die Zeit, um nebenbei seine Wasseruhr zu erklären, damit bereits Nachfrage bestand, wenn Firon erst ihm gehörte. Saumer von Isel ließ die trockene Bemerkung fallen, dass der Apparat in der Wüste mit ihrem konstanten Sonnenschein und vielen Sonnenuhren sicher nicht so wichtig sei, ihm auf seinem verregneten Schloss jedoch gute Dienste leisten könnte.
Prinz Chadric trat ein, verbeugte sich vor den Anwesenden und nahm hinter seinem Vater Platz, wo ein Stuhl für ihn bereitstand. Lleyn flüsterte ihm etwas zu, und Chadric verzog amüsiert die Lippen. Bald kamen auch Kostas, Halian und Pol. Die Wangen von Pol waren noch vom eiligen Abschrubben gerötet, und sein Haar war erst vor Kurzem mit einem nassen Kamm zurückgekämmt worden. Er schenkte allen ein strahlendes Lächeln, denn er war offensichtlich sehr aufgeregt, dabei sein zu dürfen. Aus der Tischrunde wurde ihm freundlich zugenickt – von einigen allerdings nur zurückhaltend. Doch Pol konnte man allerdings kaum widerstehen.
Rohan wollte gerade anordnen, dass man Lyell hereinlassen solle, als die Eingangsplane
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