Mondlaeufer
nur für Pols Zukunft, sondern für die aller Faradh’im. Ihr versteht seine Macht sicher nicht – und auch er noch nicht.« Und die Göttin helfe uns, wenn es so weit ist, sagte er zu sich selbst.
»Wenn es Andrades Wille war, dann …« Rohan räusperte sich. »Es tut mir leid um seinetwillen, Urival.«
Wieder folgte eine dicke, lastende Stille. Sie glich Sturmwolken, die nicht mit dem Regen auseinanderbrachen.
»Ich habe keine Drachen gehört«, sagte Urival mit einem Mal.
»Drachen vor der Dämmerung, Tod vor der Dämmerung«, erinnerte sich Rohan leise. »Ja, auch ich hätte das erwartet, dass wir sie hören.«
Sie vernahmen draußen Schritte und drehten sich beide um, als Prinz Lleyn langsam in den Pavillon gehumpelt kam.
»Eure Gemahlin fragt nach Euch«, sagte er zu Rohan, der sofort aufstand. »Keine Panik, mein Junge, es geht ihr recht gut. Chadric und Audrite haben sich um sie und Pol gekümmert.« Er setzte sich auf den Stuhl, den Rohan freigemacht hatte, und faltete seine Hände über dem Stock mit dem Drachenkopf. »Aber geht jetzt zu ihnen. Wir beide werden bei ihr wachen.«
Als Rohan gegangen war, seufzte Lleyn kopfschüttelnd. »Ich dachte immer, der Wind würde meine Asche zu ihr in die Schule der Göttin tragen. Ich habe nie geglaubt, dass ich sehen müsste, wie ihre Lichtläufer das Feuer für sie entzünden.«
Urival nickte. »Ihr habt sie so geliebt wie ich.«
»Nein, nicht wie Ihr. Das habe ich alles für meine Frau verbraucht. Vor sechsundvierzig Wintern ist sie gestorben. Ich sehe sie in ihrem Sohn und in ihren Enkeln, doch es ist nie dasselbe.«
»Nein, es ist wirklich nicht dasselbe.«
»Masul wird dafür natürlich sterben«, fuhr Lleyn fort. »Wenn ich jünger wäre, würde ich es mit meinen eigenen Händen tun. Doch hört mir zu, Lichtläufer. Tut es nicht mit den Euren.«
Er hatte noch nie mit seiner Gabe getötet und fragte sich, woher Lleyn wusste, dass ihm genau das jetzt gerade durch den Kopf ging.
»Sie würde den Rest meiner Tage um mich herumwirbeln, wenn ich es erlaubte. Ein eigensinniges Weib, Eure Andrade.«
Ja, dachte Urival, jetzt, wo sie tot war, gehörte sie nur noch ihm.
»Ich hoffe, es stört Euch nicht, wenn ich mit Euch warte. Es wird eine sehr lange Nacht.«
»Nein, es stört mich ganz und gar nicht. Ich glaube, sie hätte Euch gern hier.«
»Danke, Herr.« Lleyn senkte den Kopf, als wäre Urival ein Prinz. »Dann bleibe ich hier. Wir warten gemeinsam.«
Kapitel 25
Alle Wachen waren auf ihren Posten und warteten auf die Schrecken, die nun durch die Nacht schleichen würden, da die Herrin der Schule der Göttin tot war. Bei leisem Gemurmel erstarrten sie, und wenn die Kerzen Schatten an die Zeltwände warfen, zuckten sie zusammen. Sie versuchten, die heftigen Gebärden zu übersehen, Bewegungen der Ungeduld, des Schmerzes oder der Angst, Arme, die hilflos ausgebreitet wurden oder sich mitunter hilfreich um jemand anderen legten. Lange nachdem die Monde hinter dem Veresch versunken waren, lange nachdem die Ereignisse des Tages und der Nacht jeden hätten ins Bett treiben sollen, lange nachdem die Lagerfeuer heruntergebrannt waren und nur noch die Sterne das Lager in blasses, silbernes Licht tauchten, verstummte das Geflüster in den bunten Zelten noch immer nicht.
Rohan dankte Chadric und Audrite, dass sie sich um seine Frau und seinen Sohn gekümmert hatten, geleitete sie nach draußen und schenkte sich selbst dann starken Wein ein. Pol saß angespannt mit großen Augen auf einem Stuhl neben Sioned, die erfolglos versuchte, ihr Zittern zu unterdrücken, das immer noch wiederkehrte. Er goss auch ihnen Wein ein und lief im Dreieck auf dem Teppich herum: vom Tisch zum Fenster, vom Fenster zu den Stühlen, von den Stühlen zum Tisch.
»Sie fragte nach euch«, sagte er abrupt. »Nach euch beiden. Sie wollte wissen, ob ihr sicher seid. Die Göttin helfe uns. Wir waren ihr wichtiger als ihr eigenes Leben.«
Sioned setzte den Kelch ab, ohne ihn anzurühren. Rohan rief leise ihren Namen. Die entsetzliche Schuld in ihren Augen, die seiner so ähnlich war, tat ihm weh. »Nein«, sagte sie mit schmerzerfüllter Stimme. »Ich kann es nicht ertragen, Rohan. Sie hat mich zu allem gemacht, was ich bin, und beim letzten Mal, als ich mit ihr redete – o gütige Göttin!« Sie sank in sich zusammen. »Sie starb in dem Glauben, dass ich sie hasste.«
»Sioned, tu dir das nicht an.«
Sie sah mit blanken Augen zu ihm auf. »Wenn ich aufhöre, tust du es dann
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