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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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… Andry besaß etwas, was Andrade nie gehabt hatte. Die Sternenrolle. Pol wusste sehr wohl, wie groß die Macht war, die letzte Nacht so verheerend auf Andrades Seherfeuer gewirkt hatte.
    Er runzelte etwas die Stirn und zuckte dann die Achseln. Solange Andry sich an die Grenzen seiner eigenen Macht hielt und nicht die der anderen bedrohte, wie Andrade es getan hatte – aber lag das nicht in der Natur eines jeden Herrn der Schule der Göttin, der sich mit einem Hoheprinzen auseinandersetzen musste? Trotz allem konnte er sich keine Situation vorstellen, wo er und Andry verschiedener Meinung sein würden. Als er an ihre Gemeinsamkeiten durch ihre Familie, ihre gemeinsame Herkunft und ihre Gabe dachte, wich das Stirnrunzeln wieder von seinem Gesicht.
    Pol war überrascht, als er sah, dass es schon Morgen wurde. In der Wüste schien der Sonnenaufgang immer über den Sand zu kriechen und dabei erst Schatten heraufzubeschwören, die dann mit Licht gefüllt wurden. Auf Dorval brach die Dämmerung als plötzlicher Glanz aus den Bergen über Graypearl hervor. Hier in Waes jedoch erlebte er, wie das Tageslicht als leichter Schimmer über den Himmel glitt und kaum das Land berührte, bis die Sonne selbst über den Hügeln im Osten aufging. Am Himmel verschwanden die Sterne jetzt allmählich und machten einem milchigen, sanften Dunst Platz, der im Vergleich zu den Flammen, die noch immer im Kreis der Faradh’im brannten, einem schwachen Glühen glich. Er dachte an das, was er in dieser Nacht erlebt hatte, wie das Land ausgebreitet gelegen hatte, über das die Lichtläufer dann ihr buntes Gewebe geworfen hatten. An das berauschende Gefühl des Fliegens. So fühlte sich sicher auch ein Drache, der zum ersten Mal seine Schwingen erprobte. Er sah zu seinem Vater hoch: Azhrei, Drachenprinz, nannten sie ihn manchmal; also war er, Pol, der Sohn des Drachen. Er merkte, wie ein müdes Lächeln über seine Lippen zuckte. Was immer Andry auch besitzen mochte, das jedenfalls würde er niemals haben.
    Plötzlich regten sich seine Faradhi- Sinne. Die Flammen schlugen noch einmal hoch, dann versanken sie in den geschwärzten Steinen. Andrade war fort. Nur ein kleines Aschehäufchen war von der mächtigen Herrin der Schule der Göttin geblieben. Pol spürte die Hand seines Vaters auf seiner Schulter. Als dessen Finger sich zusammenkrampften, schaute er hoch und sah, dass in den blauen Augen Tränen standen. Er war überrascht, dass auch seine Augen brannten. Er hatte Andrade kaum gekannt. Ihr Tod bedeutete trotzdem, dass jemand Besonderes gegangen war, der für seine Geburt gearbeitet und sich um seine Sicherheit gesorgt hatte.
    Die Lichtläufer hatten ihren Kreis aufgelöst. Erschöpft von der Nachtwache, versammelten sie sich jetzt am Kopfende des Scheiterhaufens, denn sie hatten noch eine weitere Pflicht zu erfüllen. Andry begann ein paar Schritte entfernt mit erhobenen Armen und geschlossenen Augen die Luft zu beschwören. Ein Hauch davon berührte Pols Wange, wirbelte leicht durch die Menschenansammlung und brachte die grauen Kleider der Lichtläufer zum Flattern. Pol fühlte, wie sich eine Antwort in ihm regte und wie er ohne bewusstes Wollen seine eigenen Gaben einsetzte. Und er erkannte, wie einfach es war, Wind zu rufen und ihn mit einer Kraft blasen zu lassen, der die Asche und sogar die Steine von Andrades Podest aufwirbelte. Es gab Rufe des Erstaunens, doch Pol beachtete sie nicht, nicht einmal als Andry sich ihm zuwandte und die Hand seines Vaters seine Schulter noch fester umfasste.
    Pol konnte jetzt Andrys Farben wahrnehmen. Die anderen Faradh’im, selbst seine Mutter, zogen sich angesichts ihrer beider Kraft zurück. Einen Augenblick lang spürte er noch jemanden, eine seltsam vertraute und streng disziplinierte Anwesenheit, auf deren Wissen und Stärke diese Macht beruhte. Doch die Freude an der Macht ließ ihn rasch jene andere Gegenwart vergessen. Es gab nur noch ihn und seinen Cousin und den süßen Rausch ihrer Gabe.
    Die Asche bewegte sich. Sie formte sich zu einem stattlichen Drachen, der von der Luft getragen wurde und sich in die Höhe zog und dabei dünner wurde, bis die Spirale sich in dreifacher Mannsgröße über der ehrfürchtigen Menge ausbreitete. Pol hatte schon früher Faradhi- Macht gekostet, doch dies war eine Wirklichkeit, die seinen Verstand und seinen Körper mit ihrer ganzen Pracht überschwemmte. Und er verstand Andrys völlige Hingabe und sein Bedürfnis, über alldem zu stehen: ein Lichtläufer,

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