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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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Die Frau im Steinkreis hielt den Atem an, als sie das wertvolle Schriftstück erblickte. Von der alten Sprache war viel verloren gegangen, doch sie gehörte zu den wenigen, die mehr als nur ein paar Worte kannten. Mit genügend Zeit würden die Schriftrollen dennoch übersetzt werden, und das durfte nicht geschehen.
    Lady Andrade sah die Schrift und schüttelte den Kopf. Als sie etwas zu Urival sagte, verbeugte sich dieser und verschwand aus der Vision. Bald darauf kehrte er in Begleitung eines jungen Mannes von etwa zwanzig Jahren zurück, der vier Ringe mit je einem winzigen Rubin trug. Er beugte sich aufmerksam über die Schriftrollen, wobei sich auf seinem Gesicht wachsende Faszination abzeichnete. Dann richtete er sich auf und rieb sich mit einer komischen Grimasse die Augen, was ihm ein kleines Lächeln von Andrade einbrachte.
    Mit einem Mal wirbelte Lord Urival herum. Seine Finger rieben krampfhaft an seinen Ringen, und er starrte in die Flammen, offensichtlich genau auf die Frau in dem Kreis aus Sternenlicht. Auch der junge Mann drehte sich um und riss die blauen Augen unter dem hellbraunen Haar weit auf vor Erstaunen.
    Hastig brach sie die Beschwörung ab und löste das Sternengewebe zwischen ihren Händen. Das Feuer in dem Kreis jagte zurück in den Steinhaufen, der einen Augenblick lang hell und ungebändigt aufflackerte. Dann wurde er dunkel, und bald war er nur noch ein Haufen Granitsteine in der Nacht.
    Einige aus dem Kreis schwankten und stöhnten, als die Vision so unvermittelt abgebrochen wurde. Die Frau fluchte. Nächstes Mal musste sie unbedingt daran denken, nicht nur die ängstliche Bereitwilligkeit, sondern auch die Stärke aller Teilnehmer zu überprüfen.
    »Bringt mir den jungen Masul. Er lebt auf Gut Dasan in der Prinzenmark. Bringt ihn mir, egal wie, nur wohlauf und bei vollem Verstand. Ihr dürft ihm kein Haar krümmen.«
    Alle neunundneunzig, bis auf drei, verbeugten sich vor ihr und verschwanden im Wald. Viele mussten sich auf ihre Kameraden stützen. Die Frau verschränkte die Finger und rieb die Handflächen aneinander, die leicht verbrannt waren. Es war eine mächtige Beschwörung gewesen, von der sie sich erst noch erholen musste.
    »Wozu brauchst du ihn?«, fragte Ianthes Ältester trotzig. »Du hast doch mich.«
    »Uns«, verbesserte ihn der nächstjüngere Bruder ruhig.
    »Ihr seid noch nicht dran«, entgegnete sie mit fester Stimme.
    Der Jüngste lächelte kurz: »Ja, Herrin Mireva. Natürlich.«
    Sie sah die drei an und sah wieder die schmutzigen, verwilderten kleinen Jungen vor sich, aus denen sie junge Prinzen gemacht hatte. Ruval, der Älteste, war schon ausgewachsen; ihm fehlten jedoch noch die festen Muskeln des Mannes. Mit seinen dunklen Haaren und blauen Augen ähnelte er seinem Großvater, dem alten Hoheprinzen, doch seine Augen waren die von Ianthe. Der ein Jahr jüngere Marron war noch ein ungelenker, knochiger Heranwachsender. Von allen dreien glich er seiner Mutter am wenigsten, denn er hatte die verhangenen Augen und das feuerrote Haar seines Vaters geerbt. Segev, der Jüngste, war knapp sechzehn und in vieler Hinsicht noch ein Kind. Seine Augen waren graugrün wie die von Mireva, doch in ihrer Form ähnelten sie denen von Ianthe. Die schwarzen Haare aber hatte er von Roelstra geerbt. Er war der Intelligenteste von ihnen und am leichtesten zu lenken. Mireva schätzte das. Er vertraute ihrer Klugheit und würde genau das tun, was sie ihm sagte, denn in ihm war ein Hunger, den ihre Versprechungen und ihre Macht am besten stillen konnten.
    »Wozu er?«, fragte sie. »Weil keiner von euch alt genug ist. Ihr müsst über die Macht, die eure Großmutter euch vermacht hat, noch viel lernen. Bis dahin ist Masul eine nette, kleine Finte, die Rohan ein bisschen Ärger bereiten wird.«
    »Besonders, wenn Ihr ihn erst einmal in der Hand habt«, bemerkte Marron mit einem Lächeln.
    Mireva ging bewusst über den Spott hinweg, der sich unter seiner Bewunderung verbarg. »Am wichtigsten sind jetzt die Schriftrollen. Ihr habt sie gesehen, obwohl natürlich kein anderer sie sah. Als euer Volk hier herrschte, lebten die Faradh’im tatenlos auf ihrer Insel. Dann waren sie ohne Warnung plötzlich hier und bekämpften uns. Jahrelang haben sie uns heimlich beobachtet, unsere Fähigkeiten für ihre eigenen Zwecke genutzt und sie gegen uns gerichtet. Sie haben unsere Macht gebrochen und uns in die Berge gejagt. Dann haben sie bei den Menschen jede Erinnerung an uns getilgt und dafür

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