Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
Vom Netzwerk:
Stunden hatte sie schon einmal einen solchen Kelch geleert, doch die Wirkung hatte nachgelassen, und sie brauchte mehr. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als die Droge in ihrem Blut zu wirken begann. Wie dumm die Faradh’im doch waren, dass sie sich so davor fürchteten! Aber vielleicht waren ja die Kräfte von Sonne und Monden zu schwach für Dranath . Die Alten hatten es als Quelle sicherer, anhaltender Stärke gekannt. Dranath -Sucht verlieh große Kräfte.
    Mireva holte tief Luft, um die leichte Benommenheit zu verlängern, und schloss die Augen. Die Lichtläufer waren einfach Schwächlinge, die den Gebrauch von Dranath nicht dulden konnten. Der eine, den Roelstra süchtig gemacht hatte, war schon nach wenigen Jahren ausgebrannt gewesen. Sie erinnerte sich sehr gut an den Tag, an dem sie die Kräuter und das Wissen um die Dranath -Sucht an Lady Palila, die letzte Geliebte von Roelstra, weitergab. Mireva war damals jung gewesen und hatte die Rolle der weisen Alten aus den Bergen nur gespielt. Der Spiegel in ihrem Schlafzimmer verriet ihr, dass sie diese Rolle inzwischen weitaus leichter spielen konnte – aber morgen Nacht würde sie die entgegengesetzte Täuschung brauchen. Sie seufzte und zuckte dann die Achseln. Sie konnte es. Und sie würde siegen. Der abhängige Lichtläufer, den Roelstra benutzt hatte, war ein Spaß gewesen. Doch jetzt war es ihr ernst. Die Eröffnung mit Masul würde ihre Gegner auf die Probe stellen, Segev würde ihr die Schriftrollen verschaffen, und in wenigen Jahren schon würde ihr Ruval zum endgültigen Sieg verhelfen.
    Der Dranath -Rausch erreichte seinen Höhepunkt und sammelte sich in ihrem Bauch. Sie setzte sich bequemer hin und genoss das Kitzeln der Sinnenfreude. Andrade mochte ihre zehn Ringe und ihren Status als Herrscherin über alle Faradh’im haben, doch Mireva wusste, dass sie diese Befriedigung durch Macht nie erfahren hatte, die das Dranath brachte. Um sicherzugehen, dass dies auch nie geschehen würde, nahm Mireva Pergament und Feder zur Hand und schloss die Augen, um sich besser an die Worte der Zaubersprüche zu erinnern. Nach einigen Augenblicken begann ihre Hand, sich von allein zu bewegen und niederzuschreiben, was sie vor ihrem geistigen Auge sah.
    Urival nahm das Glas Wein, das Andry ihm reichte, dankbar an und trank einen tiefen Schluck. Dann setzte er den Becher ab, sank in seinen Stuhl zurück und atmete aus. Geistesabwesend rieb er den Ring an seinem linken Daumen. »Ich bin zu alt«, murmelte er, »ich bin nicht mehr stark genug.«
    »Wenigstens habt Ihr etwas gemerkt«, meinte Andrade. »Ich dagegen habe keinen Schimmer mitbekommen.« Sie sah zu ihrem Großneffen hoch, der ihren Namen trug. »Du etwa?«
    »Nein, Herrin.« Andry starrte auf seine vier Ringe hinunter. Jeder einzelne trug einen kleinen Rubin als Zeichen für seinen Status als Sohn eines mächtigen Athri. Chays Farben waren auch auf seiner Kleidung: Rund um den Halsausschnitt war seine Tunika weiß und rot bestickt. »Ich glaubte, ich hätte das Feuer springen sehen, aber …«
    Urival sagte: »Das hat nichts mit dem zu tun, was ich gespürt habe. Jemand hat uns beobachtet. Er war gut verborgen, aber er war da. Und er ist nicht übers Feuer gekommen – das war kein Lichtläufer-Feuer. Es ist Nacht, die Monde sind noch nicht aufgegangen – es gibt nur Sterne am Himmel.«
    »Ihr habt jetzt gesagt, was es nicht war«, fuhr Andrade ihn an, »sagt mir endlich, was es war!«
    Andry hockte auf den Fersen und schob sich rücklings an den Kamin heran. Wenn sein schlanker Körper so zusammengekauert war und sein langes Haar unordentlich um ein nahezu bartloses Gesicht hing, sah er viel jünger aus als zwanzig, bis auf den Verstand, der aus seinen Augen sprach, die noch blauer waren als die von Andrade. »Wir beschwören Feuer, um aber Dinge zu sehen, können wir es nicht nutzen, nur gesponnenes Sonnen- oder Mondlicht. Urival sagt aber, wir sind belauscht worden. Wenn nicht auf normalem Wege, wie dann?«
    Andrade berührte eine Versrolle mit einem ihrer langen Finger. »Nicht wir, Andry. Das hier.« Sie fuhr über die Titelseite mit den zwei merkwürdigen Worten und der seltsamen Bemalung am Rand. »Sieh dir das an und sag mir, wie es gemacht wurde«, fügte sie grimmig hinzu.
    Urival erstarrte. »Unmöglich!«
    »Sioned hat es getan«, erinnerte sie ihn. »Sie hat Sternenlicht benutzt.« Ihre Blicke begegneten sich, und sie dachten beide an jene Nacht, als Rohan Roelstra im Zweikampf tötete.

Weitere Kostenlose Bücher