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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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wieder zu sich und lächelte sie sogar kurz an, ehe er ohnmächtig in ihre Arme sank.
    Maarken, der starke Strang im Zentrum ihres Gewebes, wurde als Letzter erlöst. Sioned trennte sich von ihm, und gemeinsam kehrten sie über die Lichtbahnen nach Stronghold zurück. Sie hatte keinen Blick für die saftigen Wiesen von Syr unter ihnen oder die stolzen Berge des Vere, sie wollte nur noch zurück in ihren sicheren Garten.
    Doch plötzlich waren andere Farben da, ein gleißender, verwirrender Wirbel aus allen Farben des Regenbogens, der vor Schreck ebenso bebte wie sie selbst. Sioned zuckte zurück, und der andere ebenso. Sie öffnete die Augen und merkte, dass sie Maarken anstarrte, dennoch konnte sie den Eindruck von Flügeln nicht loswerden.
    Der junge Mann war schweißnass und zitterte heftig. Er klammerte sich so fest an Sioneds Hände, dass der Smaragdring sich in ihre Haut grub. Seine Knöchel waren weiß. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zusätzlich zu ihren Farben auch die Finger verschränkt hatten.
    »Sioned«, flüsterte Maarken, und seine Stimme war noch nicht ganz fest, »was … was war das?«
    Sie begegnete seinem Blick und sagte langsam: »Ich glaube … ich glaube, wir sind einem Drachen begegnet.«

Kapitel 5
    In ihrer Jugend war die Frau schön gewesen. Doch selbst jetzt, wo man ihrem Gesicht ihre sechzig Jahre ansah und ihr schwarzes Haar eisengrau geworden war, umgab sie eine Kraft, die bei den meisten Menschen dahin war, wenn die Jugend erst unwiederbringlich verloren war. Ihre graugrünen Augen funkelten vor Ehrgeiz und vor böser Freude über ihren sicheren Triumph. Dieses unerschütterliche Vertrauen in ihren Sieg ließ die Frau nur halb so alt wirken, wie sie war. Ihr Körper war noch immer schlank und geschmeidig, obwohl die einstige Anmut einer bewussten Eleganz gewichen war. Sie war jetzt gesetzter und beeindruckte durch ihr Selbstbewusstsein. Eine solche Frau hätte ein Prinzenreich regieren sollen, nicht diese unbedeutende Siedlung in dem entlegenen Bergtal. Doch ihre Augen verrieten, dass sie sicher war, dass sie nicht für immer hierbleiben würde und dass sie eines Tages wirklich regieren würde: nicht nur ein einziges Prinzenreich, sondern alle!
    Mit der Dämmerung wurde es kühl im Veresch. Die Frau wartete und blickte auf den Steinhaufen, der den Ostbogen eines Steinkreises markierte. Letzte feuerrote Strahlen der untergehenden Sonne berührten die Felsen. Schon bald würden die ersten Sterne über ihnen sichtbar werden. Sie hatte absichtlich alle versammelt, solange die Sonne noch schien. Die rasch herabsinkende Dunkelheit und das plötzliche Aufleuchten der Sterne war ein eindrucksvolles, urtümliches Schauspiel – besonders hier. Sollten die Faradh’im doch ihren Sonnenschein, ihre Bäume und ihre drei blassen Monde haben. Sie und die Ihren kannten seit unzähligen Generationen die Kräfte der Sterne und der Steine und ein ganz anderes Feuer.
    Ein vollständiger Kreis aus neunundneunzig Menschen, die sich an den Händen gefasst hielten und beinahe den Atem anhielten, stand in der engen Schlucht schweigend um die flachen Granitsteine herum. Früher war es schwierig gewesen, so viele zu versammeln, doch in diesem Frühjahr gab es Gerüchte wie junge Lämmer, und viele Leute waren herbeigeströmt. Während sie wartete, dass das letzte Sonnenlicht erlosch, sann sie über die Zauberkraft in diesem Vielfachen von Drei nach. Drei war eine besondere Zahl seit den Anfängen der Welt. Drei Monde am Himmel, drei Winter, bis sich die Drachen wieder paarten, drei große Landschaften: Berge, Wüste und Flussniederungen. Die Prinzen trafen sich alle drei Jahre einmal. Die Alten hatten drei Götter verehrt: die Göttin, den Vater der Stürme und den Namenlosen, dessen Festung diese Berge waren. Vor langer Zeit hatten die Faradh’im die Macht geleugnet, die sie heute Nacht hier anrufen würden – wie dumm sie doch waren! Denn es gab auch drei Lichtquellen: Sonne, Monde und Sterne. Bei neunundneunzig Menschen im Kreis war die Hundert, der Zahl des Namenlosen, der über alles herrschte.
    Prinzessin Ianthe hatte drei Söhne gehabt. In gleichem Abstand voneinander standen sie um die hüfthohen Steine und teilten den Kreis in drei Bögen auf. Sie spürte die rohen, wenig ausgebildeten Kräfte, die sie von einer Großmutter geerbt hatten, die zu den letzten reinblütigen Diarmadh’im gehört hatte. Obwohl Lallante ein jämmerlicher Feigling gewesen war und ihr wahres Erbe verleugnet hatte,

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