Mondlaeufer
noch kurze Zeit als seelenlose, leere Hülle weiter.
Maarken betrachtete die großen Drachen, die sich eine halbe Länge vor ihm rekelten. Wenn nun ein Faradhi während seines Kontakts mit dem Drachen in eine Höhle oder den Schatten eines Berges geschleppt wurde? Wenn nun ein Drache in den Nebel oder vom Tag in die Nacht flog? Nur Lichtläufer wussten, wie verwundbar durch die Finsternis sie waren. Er fragte sich, ob Rohan die Gefahren wirklich kannte – oder ob Sioned ihm überhaupt von ihnen erzählt hatte.
Das Paar saß ein Stück neben Pol, zwei gleichartige, dreieckige Zelte aus matter, goldener Seide. Nur durch den aufgestickten Drachen auf der rechten Schulter ihrer Umhänge waren sie zu erkennen. Dasselbe Symbol befand sich auch auf Pols Umhang. Auch andere Prinzen hatten Rohans Idee übernommen, neben ihren Farben ein Symbol zu führen, und einige waren wirklich schön: Ossetias goldene Weizengarbe auf Dunkelgrün, Fessendens silbernes Vlies auf Seegrün. Jetzt riefen auch die Athr’im nach ähnlichen Rechten, und beim diesjährigen Rialla würde man entscheiden, ob sie ihnen gewährt werden würden. Bis jetzt hatte nur ein Lord das Recht erhalten, nicht nur seine eigenen Farben, sondern auch ein Symbol zu führen. Maarken schaute lächelnd nach links, wo seine Eltern beieinandersaßen. Auf ihren braunen Umhängen sah man das Symbol, das Rohan ihnen verliehen hatte: In ein rotes Feld mit blauem Rand war ein silbernes Schwert gestickt, das Zeichen für die Rolle des Herrn von Radzyn bei der Verteidigung der Wüste. Auf Chays Wimpel und seiner Kampfstandarte war das Ganze noch mit einem breiten weißen Rand umgeben und sah wirklich prächtig aus. Maarken träumte von dem Moment, wo er Hollis einen Umhang mit diesem Symbol umlegen konnte …
Als seine Mutter zu ihm herübersah, fuhr Maarken leicht zusammen, als ob sie seine Gedanken lesen könnte. Doch sie lächelte nur und verdrehte ausdrucksvoll ihre Augen. Er grinste zurück. Er kannte niemanden, dem Stillsitzen so schwerfiel wie ihr. Sie hasste es, sich nicht bewegen zu können. Selbst während einer Diskussion lief sie meistens auf und ab, trommelte mit den Fingern und veränderte ständig ihre Position. Ihr aktives Herangehen an Probleme trieb ihren Mann gelegentlich zur Verzweiflung. Sie war der Ansicht, dass es nichts gab, das man nicht ändern, lösen oder besiegen konnte, wenn man nur aufstand und etwas tat. Rohan war hierin, wie auch in manch anderer Hinsicht, das genaue Gegenteil von ihr. Er glaubte, man müsse den Dingen ihren Lauf lassen und dürfe die Ereignisse nicht erzwingen. Bei seinem ganz persönlichen Problem mit Hollis konnte Maarken davon ausgehen, dass er auf die stille Unterstützung seines Onkels zählen konnte, und das war eine gewisse Hilfe. Doch falls Tobin beschließen sollte, dass ihr diese Ehe gefiel, würde sie sicher alles tun, was in ihrer – nicht unbeträchtlichen – Macht stand, um dem Paar zu helfen. Maarken wollte sich jedoch nicht ausmalen, was sie tun würde, wenn sie seine Wahl nicht guthieß.
Es amüsierte ihn, dass seine stille, heitere Hollis sich so sehr von seiner Mutter unterschied. Sie würde niemals rasen vor Wut, herrische Befehle erteilen oder wegen einer Meinungsverschiedenheit in eine Schimpfkanonade ausbrechen. Tobin tat dies mit der gleichen Wonne wie alles andere in ihrem Leben. Maarken liebte seine Mutter sehr – aber er wollte nicht ihr Ebenbild heiraten.
Ohne Vorwarnung trompetete ein Drache seine Herausforderung durch die Dünen. Maarken fuhr gewaltig zusammen. Der tiefe, raue Schrei hallte weit über den Sand. Feylin glitt von ihrem Aussichtspunkt auf der höchsten Düne hinunter zu Sioned und Rohan. Maarken versuchte, ihr Geflüster zu verstehen, und sah, dass sein Onkel und seine Tante aufmerkten. Auch die Drachenweibchen regten sich, als erst ein Schatten über den Sand glitt, dann noch einer und schließlich ein dritter. Die Drachen waren endlich bereit.
Die Weibchen setzten sich in Bewegung und kamen von den Hügeln am Rande der Ebene herunter, um sich in kleinen Gruppen von fünf bis zehn zusammenzuscharen. Feylin kam zu Pol herüber und erklärte ihm leise die Rangordnung.
»Die Jüngsten bewegen sich an beiden Seiten der älteren Weibchen. Man kann sie nur an den Flügeln auseinanderhalten. Seht Ihr die Narben bei den älteren? Die Paarung ist nicht gerade sanft. Aber man kann die Jungen durch noch etwas von den älteren unterscheiden. Die, die das hier schon einmal erlebt
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