Mondlaeufer
Neues?«
Kiele ging automatisch die Reihe durch. »Pandsala sitzt wie immer in der Felsenburg; sie gibt sich weise und großzügig. Moria hockt in dem Haus, das Prinz Rohan ihr als Mitgift gegeben hat, und sieht zu, wie die Kiefernadeln rieseln, soweit ich weiß. Ist mir auch gleichgültig. Wie sie es das ganze Jahr im Veresch aushält, begreife ich nicht. Moswen besucht zur Zeit Prinz Clutha. Ich glaube, sie macht sich Hoffnungen auf Halian.«
Chiana kicherte. »Auf diesen langen, dünnen Tropf mit der Geliebten und den Töchtern? Was kann sie von ihm wollen?«
»Sein Erbe natürlich«, sagte Lyell. »Ich kenne keine Tochter von Roelstra, die nicht ehrgeizig ist.« Er sprach voller Zuneigung und warf einen stolzen Blick auf seine Frau.
»Nur praktisch veranlagt, mein Lieber«, verbesserte sie ihn. »Und am Überleben interessiert.« Ihr Blick war genauso liebevoll, doch innerlich verfluchte sie seine unerwünschte Beobachtungsgabe. Wenn er ihren Ehrgeiz allerdings nicht nur verstand, sondern auch schätzte, dann würde er in der Sache mit Masul möglicherweise viel leichter zu lenken sein. »Wo war ich? Ach ja. Patwin ist seit Rabias Tod untröstlich. Aber wahrscheinlich findet er dieses Jahr ein anderes nettes Mädchen und heiratet wieder. Danladi ist mit Prinzessin Gemma am Hof von Syr. Und das waren alle, Chiana, außer uns beiden.« Sie lächelte gewinnend. »Ich bin so froh, dass du gekommen bist, mir dieses Jahr mit dem Rialla zu helfen. Clutha verlangt so viel; alles muss noch pompöser sein als beim letzten Mal, und mir gehen allmählich die Ideen aus!«
»Ich freue mich, dass ich dir helfen kann, Kiele. Es wird so viel Spaß machen! Aber sag mir, was weißt du über diesen Menschen, der sich für unseren Bruder ausgibt?«
Mit dieser Frage hatte Kiele nicht gerechnet. Sie hoffte, dass man ihre plötzliche Verwirrung für Unfähigkeit halten würde, ihrem Zorn angesichts eines solch unverfrorenen Anspruchs angemessen Luft zu machen. Lyell sprang in die Bresche, und dies war eines der wenigen Male in ihrer Ehe, wo Kiele der Göttin für die Existenz ihres Gatten dankte.
»Die Geschichte ist natürlich ärgerlich«, sagte er. »Aber es sollte uns nicht bekümmern.«
»Es heißt, er würde beim Rialla erscheinen und Anspruch auf die Prinzenmark erheben. Ob er das wirklich wagt, Lyell?«
Er tätschelte ihren Arm. »Zerbrich dir nicht dein hübsches Köpfchen darüber.«
Doch genau das würde Chiana tun, das wusste Kiele. Daher lächelte sie.
Prinz Clutha hatte während seiner Jugend und als erwachsener Mann ständig in der Sorge gelebt, sein geliebtes Meadowlord könnte zum Schlachtfeld für die Wüste und die Prinzenmark werden. Die Grenze der beiden Reiche war jeweils durch hohe Berge markiert, doch Cluthas ausgedehnte, leicht hügelige Ländereien lagen genau dazwischen. Sein Vater und sein Großvater hatten erlebt, wie die Truppen die Weizenfelder verwüsteten, die Ernte verbrannten und die Dörfer am Weg zerstörten. Clutha hatte sich nie besonders dafür interessiert, wer am Ende Sieger war, solange der Kampf nicht auf seinem Land stattfand. Er hatte jahrelang beharrlich daran gearbeitet, erst Roelstra und Zehava, und später dann Roelstra und Rohan auseinanderzuhalten. Doch nachdem Rohan nun seit vierzehn Jahren als Hoheprinz herrschte und die beiden Länder vereint waren, musste er sich deswegen keine Sorgen mehr machen.
Da die Sicherheit seines Prinzenreiches nicht mehr von außen bedroht wurde, widmete er sich jetzt der inneren Sicherheit. Von allen seinen Athr’im war keiner so mächtig und so schwer im Zaum zu halten wie Lyell von Waes. Der Mann war zwar nicht besonders schlau oder zu mehr fähig, als seine Stadt klug zu regieren. Es war Kiele, die Tochter von Roelstra, die Clutha beunruhigte. Lyell war durch die Ehe seiner Schwester mit Lord Eltanin von Tiglath mit der Wüste verbunden. Sie und ihr ältester Sohn waren an der Seuche gestorben, doch Tallain, der jüngere, würde das Erbe irgendwann antreten. Clutha hatte Lyells Hochzeit mit Roelstras Tochter gutgeheißen, weil das ein guter Ausgleich für seine Bindung an die Wüste war. Er hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass der junge Lord der Wüste den Rücken kehren und sich mit Roelstra begeistert in den Krieg gegen Rohan stürzen würde. Seitdem hatte Clutha den Herrn von Waes ständig im Blick behalten.
Deshalb hatte er nach seinem Besuch im Frühling dort auch seinen Knappen zurückgelassen. Der junge Mann war als Gast in
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