Mondmädchen
doch keinen Sinn …«, rief ich.
»Oh doch. Es ist sogar ziemlich schlau. Octavian wird seinem Volk eine schier unerträgliche Steuerlast auferlegen müssen, um den Krieg zu finanzieren. Und das würden die Römer nicht dulden – ja, sie würden ihn geradewegs vom Tarpejischen Fels stürzen, wenn er ihnen verraten würde, dass es darum geht, ihren geliebten Marcus Antonius zu bekämpfen. Aber die Römer werden nicht aufbegehren, selbst wenn die Steuern sie in Armut stürzen, wenn es darum geht, sich und ihren Lieblingsfeldherrn aus den Fängen der ›bösen‹ Königin von Ägypten zu retten.«
Ich schnaubte verächtlich, aber Caesarion fuhr ungerührt fort. »Er manipuliert die Meinung der Römer und weigert sich gleichzeitig, mich als wahren Sohn Caesars anzuerkennen. Octavian behauptet, unsere Mutter hätte euren Vater verhext. Sie hätte ihn mit einem Bann belegt, sodass er nicht für seine eigenen Taten oder Entscheidungen verantwortlich gemacht werden kann. Er behauptet, sie würde euren Vater dazu benutzen, schließlich selbst die Herrschaft über Rom zu gewinnen.«
»Und die Römer glauben tatsächlich diese Lügen, die sich gegen ein treues, befreundetes Reich wenden?«, fragte ich fassungslos.
»Es fällt mir schwer, zu verstehen, warum sie ihn nicht einfach durchschauen. Aber wir müssen die Kriegserklärung ernst nehmen und uns entsprechend wappnen.«
Mir verschlug es die Sprache und ich sagte nichts mehr. Wir blieben unter dem gestreiften Baldachin des königlichen Eingangs zur Bibliothek stehen. Diener kamen herbeigelaufen und verneigten sich erst vor Caesarion und dann vor uns. Einer trug ein goldenes Gefäß mit warmem, nach Lotos duftendem Wasser, um unsere Hände und Füße zu waschen, ein weiterer nahm uns unsere Umhänge und alles andere ab, was wir nicht mehr tragen wollten.
Als wir das lichtdurchflutete Atrium betraten, huschten weiß gekleidete Gelehrte in weißen Sandalen vorüber und verneigten sich geistesabwesend in unsere Richtung. Das Getrappel all unserer Diener hallte laut auf dem ausgetretenen Marmorfußboden wider.
»Wohin gehen wir, Bruder?«, fragte ich und blickte auf zu Caesarions ernstem Gesicht.
» Ich gehe in die militärgeschichtliche Abteilung der Bibliothek«, sagte er und blieb vor der Statue Alexanders des Großen stehen, die deren Eingang schmückte. » Ihr geht zu eurem Unterricht zurück.«
»Nein, ich will bei dir bleiben«, sagte ich. »Ich bin auch ganz leise, versprochen.«
Caesarion schüttelte den Kopf. »Krieg ist kein Kinderspiel«, sagte er. »Du musst die Erwachsenen in Ruhe lassen, damit sie sich ungestört darum kümmern können.«
Die Erwachsenen ? Er hatte doch noch nicht einmal seine Mannbarkeitsfeier begangen! Aber noch bevor ich ihm antworten konnte, fügte er hinzu. »Geh spielen, Mondmädchen. Wir werden dafür sorgen, dass dir Ägypten erhalten bleibt.« Und damit wandte er sich ab.
~ Kapitel 4 ~
Unsere Sänfte wurde langsamer, als sie die Tore des königlichen Palastes passierte und hinaus auf die geschäftigen Straßen von Alexandria getragen wurde. Die Menschenmenge vor uns teilte sich, aber zu meiner Überraschung hörten wir nicht den Chor aus Grußformeln und Segenssprüchen, der sich üblicherweise über uns ergoss. Es schien, als stünde ganz Alexandria wegen dieser absurden Kriegserklärung von Octavian unter Hochspannung. Mir war aufgefallen, dass wir von einer größeren Zahl von Wachen als sonst begleitet wurden, die allesamt mit gezogenen Schwertern vor, neben und hinter unserer Sänfte marschierten.
Trotz der Sorge, die über der Stadt zu liegen schien, freute ich mich über unseren Ausflug. Ich liebte es immer, wenn wir uns unter unser Volk begaben. An jenem Tag waren wir zusammen mit unserem Lehrer Euphronius unterwegs in das jüdische Viertel.
»Ihr müsst das Leben und die Herzen von allen in eurem Volk verstehen«, hatte er uns erklärt, bevor wir aufgebrochen waren. »Und so werden wir uns heute mit einem Rabbi treffen, der euch die Grundzüge der hebräischen Religion erläutern wird.«
Wir waren noch nie zuvor in diesem Teil von Alexandria gewesen und ich fand den Weg in dieses Stadtviertel faszinierend. Normalerweise liebten selbst die ärmsten Alexandriner die leuchtenden Farben Ägyptens – Safrangelb, Türkis, Rot und Blau. Aber als wir das jüdische Viertel betraten, sahen wir nur noch Umhänge und Gewänder in dumpfen Braun- und Grautönen. Auch verbeugten sich die Juden nicht vor uns, streuten
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