Mondnacht - Mordnacht
angesprochen. Sie schüttelte den Kopf. Der Knabe ging wieder.
»Er wollte tanzen.«
»Du nicht?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Sie hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Manchmal komme ich hierher, um mich abzulenken.«
»Von was denn?«
»Vom Studium, das oft stressig ist. Aber wenn ich hier bin, gefällt es mir nie so recht. Es ist einfach zu laut.«
»Kann sein.«
Sie lächelte mich an. »Wenn ich dich so ansehe, muß ich sagen, daß du auch nicht hierher paßt.«
»Wie man’s nimmt. Ich bin fremd, da hast du recht. Ich komme aus London und habe hier beruflich zu tun. Bin quasi zum erstenmal in Waltham.«
»Was machst du denn?«
»Ich verkaufe Rollos für Fenster in allen Größen. Langweilig und oft frustrierend. Es gibt leider viel Konkurrenz. Heute habe ich wieder einen so blöden Tag erlebt. Da konnte ich nichts loswerden. Deshalb bin ich hier, um mich abzulenken. Aber tanzen will ich nicht. Ob Rave oder Techno, ist mir jetzt zu anstrengend.«
»Kann ich verstehen.« Sie schaute sich um. »Ich bin übrigens Simone«, sagte sie dann.
Wieder stellte ich mich vor. Dabei blickte ich an ihr vorbei und glaubte, Sissy zu sehen, die in unserer Nähe entlangging und mir für einen Augenblick warnend in die Augen schaute. Dann war die Sache wieder vergessen.
»Hier ist immer viel los, nicht?« nahm ich den Gesprächsfaden wieder auf.
»Ja. Manchmal sogar zu viel. Dann ist es mir zu laut und zu hektisch. So ein Typ bin ich eigentlich nicht. Aber wo soll man hin, wenn man etwas Abwechslung sucht?«
»Da hast du auch wieder recht.« Sie deutete auf die Dose. »Du trinkst Bitter Lemon?«
»Ich bin mit dem Auto da.«
»Oh.«
»Wieso? Stört dich das?«
»Nein, ganz und gar nicht«, erklärte sie lachend. »Ich finde es sogar gut. Dann kann man verschwinden, wann man will, auch woanders hinfahren.«
Ich horchte auf. Wenn ich mir die letzten Worte richtig durch den Kopf gehen ließ, waren sie so etwas wie ein indirektes Angebot, auf das ich aber noch nicht einging, denn ich wollte Simone noch aus der Reserve locken.
»Da hast du recht.«
»Wie lange hältst du es denn hier aus?«
Ich lachte. »Sorry, aber das kann ich nicht sagen. Bis mir die Kulisse halt zu laut wird.«
»Das geht oft schnell.« Sie rümpfte die Nase und schob die Unterlippe vor.
»Soll das heißen, daß du keine Lust dazu hast, hier noch lange den Platz zu halten?«
»So ungefähr.«
»Wo willst du denn hin?«
»Ich habe noch keine Ahnung, aber ich brauche auch nicht unbedingt allein zu bleiben.«
»Wir könnten ja zusammen verschwinden.«
»Das habe ich gemeint.«
Ich tat so, als müßte ich überlegen. Dabei ließ ich Simone nicht aus den Augen. Ich sah ihr Lächeln und entdeckte auch diesen geheimnisvollen Blick, der schon so etwas wie ein Versprechen war, aber nie so überdeutlich wurde.
»Hast du keinen Bock, John?«
»Das nicht. Aber ich kenne mich hier nicht aus. Ich bin fremd in Waltham. Wo sollte ich noch hin?«
»Das könnte ich dir zeigen.« Sie reckte sich etwas und flüsterte in mein Ohr: »Wartest du draußen auf mich?«
»Warum das denn?«
»Ich möchte nicht, daß man uns zusammen verschwinden sieht. Hier sind viele Augen. Es wird geredet und meist falsch. Das meine ich damit.«
»Du kommst aber nach?« vergewisserte ich mich.
»Klar, in ein paar Minuten.«
»Gut, bis dann.«
Ich ging und schaute nicht zurück. Um mich herum wirbelten Körper, da bekam ich die volle Dröhnung der Musik mit und hörte auch den DJ.
Schreien. Er verlangte noch mehr Tempo und feuerte die Gäste immer wieder an.
Nicht weit vom Ausgang entfernt lief mir Sissy über den Weg. Ich glaubte nicht an einen Zufall, auch wenn sie so tat, als wäre es rein zufällig passiert.
»Hi, John.« Sie hielt mich fest. »Du willst schon verschwinden? Keine Lust mehr?«
»Sieht so aus.«
Sissy lächelte. Mit dem Daumen deutete sie zurück zum Tresen. »Was ist denn mit der Tussy da gewesen?«
»Wieso? Was denn?«
»Ihr habt euch gut unterhalten.«
»Stimmt. Wie wir beide, Sissy. Hier kann man wirklich nicht allein bleiben, denke ich.«
»Stimmt. Das ist schon schwer. Jetzt willst du weg?«
»Ja.«
»In dein Hotel?«
»Mal sehen. Vielleicht besuche ich noch einen Pub und trinke dort ein schönes Bienoder auch zwei.«
»Klasse«, sagte sie. »Ich kenne da einen. Kann ich nur empfehlen. Er heißt No way out.«
»Kein Weg zurück?«
»Richtig. Wenn du dort einmal richtig festhängst, wird es verdammt schwer.«
»Ich könnte ja
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