Mondscheinjammer
Es tut mir leid", stotterte ich, überrascht von seinem plötzlichen Ausbruch. "Ich meinte, was hat das Ganze mit deinem Großvater zu tun?"
"Du weißt schon viel zu viel, Lily. Es ist besser, du hältst dich von mir fern. Vergiss das alles einfach, geh weg von hier. Ganz weit weg, solange du noch kannst."
Ich sah, wie er langsam seine Hand hob, dann spürte ich sie auch schon auf meiner Haut. Vorsichtig strich her über meine Wange.
Ich zitterte unwillkürlich. Sein Gesicht war so nah, viel zu nah. Sollte ich Angst haben? Hatte ich Angst? Nein, nicht vor ihm, vor Xander. Dumm? Vielleicht. Ganz sicher sogar, doch es war mir egal.
"Ich würde dich so gerne küssen." Ein dunkler Schatten fiel auf sein Gesicht. Niedergeschlagen wandte er den Blick ab.
"Und warum tust du es dann nicht?" Meine Stimme brach. Was redete ich da eigentlich? Hatte ich vollkommen den Verstand verloren? Sams blaue Augen tauchten mit einem Mal vor mir auf. Warum dachte ich ausgerechnet jetzt an ihn? Wieso konnte er mich nicht in Ruhe lassen? Sam, immer Sam. Dabei mochte ich ihn nicht einmal. Jedenfalls nicht wirklich. Glaubte ich zumindest. Sam war anstrengend, besserwisserisch. Aber es tat mir weh, zu sehen wie sehr er litt. Und das tat er ganz offensichtlich.
"Weil ich Angst habe", unterbrach Xander meine Gedanken.
"Vor mir?"
"Ich habe Angst, dann nicht mehr von dir loszukommen, mich nicht kontrollieren zu können."
"Du hast Angst mich zu beißen?", fragte ich atemlos.
Er lachte freudlos auf. Dann schüttelte er langsam den Kopf.
"Ich habe Angst, mich in dich zu verlieben." Abrupt stand er auf und trat auf das Fenster zu. "Aber vielleicht ist es dafür schon viel zu spät."
Mir schwirrte der Kopf, als ich endlich wieder im Auto saß und auf das hellerleuchtete Haus der Carters starrte. Hatte ich geträumt oder hatte Xander mir tatsächlich gesagt, dass er sich in mich verliebt hatte? In mich? Lily Cooper! Das unscheinbare Mädchen aus New York, mit den vielen Sommersprossen und den ungebändigten Locken, die nie das machten, was sie gerade sollten?
Ich zitterte unwillkürlich als ich an seine Berührung zurück dachte. Zum Abschied hatte er mich auf die Stirn geküsst und bis zur Tür begleitet. Den Rest des Weges wollte ich alleine gehen, auch wenn ich dafür das Risiko in Kauf nehmen musste, von einem großen, blassen Wesen verschlungen zu werden, was irgendwo in der Dunkelheit darauf wartete, dass seine Zeit gekommen war. Wann immer das auch sein würde.
Xander Carter war ich mich verliebt! War das tatsächlich möglich? Wollte ich das überhaupt? Blonde Wuschelhaare mit Cowboyhut. Ich dachte an Sam. Schon wieder Sam. Immer nur Sam. Sam, wie er mich beim Einsammeln der Eier aufzog oder sich darüber amüsierte, wie ich mit Jerry nach Stöckchen jagte.
Ich verzog genervt das Gesicht.
Das alles war so verwirrend.
Xander kam mir so normal vor. Es war unvorstellbar, dass er nicht der war, der er zu sein schien, dass er untot war, dass er eigentlich dafür gemacht war, Menschen zu töten, nicht sie zu mögen.
Niedergeschlagen öffnete ich die Tür des Autos und rutschte auf den Fahrersitz. Ich hing mittlerweile tatsächlich schon tiefer in dieser Geschichte drin, als mir guttat. Doch mir fehlten noch immer wichtige Antworten. Die hatte mir auch Xander heute Abend nicht gegeben. Im Gegenteil, er hatte nur noch weitere Fragen aufgeworfen.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich sehr bald mehr erfahren würde, als mir lieb war.
"Michelle Bruckheimer fehlt seit zwei Tagen in der Schule. Ich habe gehört, wie sich Joanne und Kylie darüber unterhalten haben." Vanessa knallte ihren Spint zu und zog argwöhnisch die Augenbrauen hoch. "Sie scheint die nächste zu sein."
"Die nächste?" Ich musste unwillkürlich an Xander denken. Ich hatte es noch immer nicht gewagt, Vanessa von ihm zu erzählen.
Dienstagnacht hatte er ganz überraschend an mein Fenster geklopft. Diesmal hatte ich ihn sogar tatsächlich herein gelassen. Es war eine Mär, dass Vampire nur nach Aufforderung in ein Haus kommen konnten.
Wir hatten lange einfach nur schweigend an verschiedenen Enden meines Bettes gehockt und in die Nacht hinein gelauscht. Die Grillen zirpten und hin und wieder hörte ich sogar die Geräusche eines vorbeifahrenden Autos. Nicht ganz Parkerville schien um diese Zeit zu schlafen.
Ich hatte es längst aufgegeben, ihn nach seiner Familie zu fragen. Er würde mir doch nichts sagen, noch nicht. Ich musste ihm einfach Zeit geben. Doch
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