Mondschwingen (German Edition)
Abend.“
Der Mund in Uselbs
Gesicht begann abermals zu zucken. „Das ist ganz unmöglich, ganz und gar
unmöglich. Wir sind nicht vorbereitet, wir müssen Strategien ausdenken, wir
müssen üben, wir müssen Waffen schmieden …“
Toiva verdrehte die
Augen. „Ich habe angenommen, Ihr seid ein guter Feldherr, Uselb.“
Uselb sagte nichts,
stand nur da.
„Na gut“, seufzte Toiva
und gab sich ein wenig geschlagen. „In drei Tagen. Abends, wenn es dämmert.
Unten in den Küstenhöhlen stehen zwanzig Schiffe, das wisst Ihr sicherlich. Ich
erwarte dort all Eure Krieger und Kämpfer, habt Ihr verstanden? Wenn sie nicht
pünktlich sind, werde ich mir einen neuen Feldherrn suchen, weil der alte einen Kopf kürzer ist. Verstanden?“
Uselb hatte sich in ein
Häufchen Elend verwandelt - der Mond war verschwunden, seine liebste Vase lag
in Trümmern, schon in ein paar Tagen sollte er mit seinen Männern in den Krieg
ziehen. Kurz sah es aus, als sei er den Tränen nahe. Der Feldherr schluckte und
blinzelte seine stumme Trauer fort. „Verstanden.“
SVIJA
und die Rückkehr in den neuen Wald
Svija war müde und erschöpft und wollte nicht
mehr weiter laufen. Der Flug von der Burg zur Küste war anstrengend gewesen. Der
Wind hatte an ihr gerissen und in alle Richtungen gewirbelt.
Im Wald hatte sie
Mondlicht getrunken, zum ersten Mal außerhalb vom Sommerwald, wo sie jeder
hätte sehen können. Sie war lange gelaufen, dicht über dem Boden, wo ihr der
tiefe Schnee nicht noch die letzten Kräfte rauben konnte. Nur ein einziges Mal
hatte sie Rast eingelegt, als der Morgen bereits angekrochen kam, und nun, als
es bereits wieder dunkelte, war sie endlich da. Zuhause.
Es fühlte sich anders an
als sonst, als sie mit Crava und den Kindern zurückgekehrt war. Es hatte sich
richtig angefühlt, real. Hatte sie Schuldgefühle, wegen Linus, wegen Toiva?
Weil sie den Jungen zurückgelassen hatte? Sie kannte ihn doch kaum.
Lichter wackelten hinter
den verschneiten Bäumen, blitzten auf und wurden reflektiert von Eis und
Schneekristallen. Da war er, der Sommerwald, ganz dicht, nur ein paar Schritte
noch entfernt. Aber richtig – normal – fühlte es sich immer noch nicht an.
Der Schnee auf den
Bäumen schmolz, die Kälte wich zurück, je weiter sie ging. Es war, als steige
sie durch ein großes Fenster und tauchte ein in warmes Wasser. Sie hörte
Grillen zirpen, Tränensänger trällern, das Rauschen des Baches hinter dem Haus.
Nachdem der Weg hierher sie über einen Tag gekostet hatte, taten all die
bekannten Geräusche gut.
Die Bäume rückten zur
Seite, sie sah den Umriss des Hauses und des kleinen Schuppens, wo die Mäntel
und Stiefel aufbewahrt wurden. Erst als sie die Lichtung erreicht hatte, wusste
sie, dass etwas nicht stimmte. Überall wohin sie sah, waren Zelte. Zelte in
allen Farben und dazwischen saßen Gestalten, die sich unterhielten und lachten,
als gehörte der Sommerwald nur ihnen.
Niemand bemerkte das
Mädchen am Waldrand. Sie saßen nur da und drückten mit ihren fetten Hintern das
grüne Gras platt, in dem sich eigentlich immer die Irrlichter nachts versteckten.
Svija bahnte sich einen
Weg durchs Gewimmel, klopfte an die Tür des Waisenhauses und trat ein. Sie
hörte Gelächter am Ende des Ganges, Geklapper, Stühle wurden auf dem Holzboden
verschoben. Sie aßen zu Abend, so wie immer, als wäre noch alles normal, als
wäre Svija nie verschwunden.
Kurz stand sie vor der
Tür und blinzelte in die Küche. In der Mitte stand ein großer Holztisch, der
sich vor lauter Speisen bog. Rasputin, ein kleiner Menschenjunge, sah Svija als
erstes. Er ließ sein Messer fallen und zeigte auf den Türspalt, hinter dem
Svija wie eine Fremde lauerte. Ohne länger abzuwarten trat sie ein und es fiel
ihr schwer zu lächeln, trotz aller Freude.
Crava sprang auf und ihr
Stuhl fiel zurück. Jedes Augenpaar richtete sich auf sie, auf die Elster, die
gegangen war. Die Kinder standen auf und umarmten Svija und sie sagten
irgendwas, stellten Fragen über Fragen, von denen Svija keine einzige
beantwortet. Crava lachte ungläubig und drückte sie so fest, als sei sie noch
genauso jung wie all die anderen Kinder.
Amber kam als letzte
heran und einen Moment lang stand sie nur da und betrachtete Svija. Sie weinte
fast, was Svija von ihr nicht kannte. „Es war so schrecklich, als Toiva mit dir
gegangen ist. Ich kam mir feige vor, als sie dich mit sich genommen hat. Ich
hätte etwas sagen müssen, ich hätte
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