Mondschwingen (German Edition)
es war Thijs,
der das gesagt hatte. „Geht mit ihnen und lasst sie bloß nicht aus den Augen!
Sie wollen einen Freund ausgraben, der sicherlich ohnehin schon längst das
Zeitliche gesegnet hat.“
Tunks Umarmung löste sich und Svija begann
wieder zu rennen. Fast blind eilte sie durch den Tunnel, die Treppen hinunter, an
den Säulen vorbei, über die Schluchten und Brücken hinweg. Sie dachte nur an
Linus und an Thijs‘ schaurig schöne Worte.
Der Gang hinter den Türen erschien ihr
endlos, das flackernde Licht an den Wänden zerfloss zu waberndem Gold. Ihre
trommelnden Schritte vermischten sich mit dem Klopfen ihres Herzens.
Sie stieg durch die Luke und rauschte
durchs Gras. Plötzlich war Amber an ihrer Seite, Schulter an Schulter rannten
sie voran, Linus‘ Grab entgegen.
„Lauft langsamer!“, hörte Svija Tunk rufen,
doch das konnte sie nicht, nicht jetzt schon.
Erst jetzt wurde ihr klar, dass der Weg so
entsetzlich lang war. Thijs hatte womöglich angenommen, dass das Grab gar nicht
weit weg war, nur ein paar Schritte …
„Warum hast du vorhin Thijs nicht die
Wahrheit gesagt? Dass wir eigentlich wegen Gwaedja in der Nähe waren.“ Amber
war fast nicht zu verstehen.
„Hast du sie nicht gesehen, die Masken von
den Wächtern? Gwaedjas Entführer haben dieselben getragen.“ Es fiel Svija nicht
leicht zu reden. „Und weißt du noch, sie haben Mäntel getragen, sie waren
weiß.“
Die ersten Bäume bauten sich vor ihnen auf,
es wurden immer mehr. Svija konnte bald nicht mehr, sie lehnte sich gegen einen
Baum, rang nach Luft, wankte weiter, stolperte durch die Nacht.
Linus lag schon einen halben Tag dort
unten, in der Dunkelheit, in der Stille, ohne Luft zum Atmen. Irgendwann
durchstieß sie das Geäst, ließ die Bäume hinter sich und trat stöhnend auf die
Lichtung. Sie grub mit den Händen und den Fingern, Haare fielen ihr ins
Gesicht. Wig und Tunk kamen nach einer Weile, hielten Schaufeln und trugen eine
Laterne. Svija wunderte sich nicht einmal darüber.
Die Männer schaufelten schnell und die
Mädchen konnten nichts als zuschauen. Amber drückte Svijas Hand, brach ihr fast
die Knochen dabei.
Das Loch wurde tiefer, der Erdhaufen
daneben größer.
„Wir sind durch. Da unten ist es.“ Wig
hustete, er schleuderte die Schaufel von sich.
Zusammen traten die Mädchen ans Grab,
langsam diesmal, obwohl sie so nah waren. Die Laterne in Ambers Hand spuckte
loderndes Licht in die Dunkelheit hinab.
Alles hatte Svija erwartet; einen toten
Linus, mit aufgerissen Augen, einen schlafenden Linus, einen bewusstlosen
Linus. Vor allem aber einen Linus, der lebte.
Stattdessen schaute ihr nur Schwärze
entgegen.
Das Grab war leer.
TEIL III
VIER KÄMPFE
RUBENS
und der erste Angriff
Der zweite Mond war verschwunden.
Die Wolken hatten sich verzogen, machten
sich dickbäuchig davon. Über dem Meer, inmitten der Nacht, hingen nur noch zwei
Monde am Himmel. Halbzeit, dachte Rubens. Es erschien ihm viel dunkler als
sonst.
Er hatte nicht erwartet, dass es so schnell
gehen würde, er hatte den Aufbruch der Elstern für überstürzt gehalten. Nun erst
verstand er, dass den Elstern nur noch ein paar Tage blieben, bis sie alle
sterben würden. Und er mit ihnen.
Die Angst tastete sich mit eisigen Fingern
in seine Eingeweide. Wenn die Elstern gegen Liv in der kommenden Schlacht
verlieren würden, wäre es vorbei mit ihnen. Wenn Rubens gegen sie kämpfte, hier
draußen, würde er sein eigenes Todesurteil fällen.
„Wir holen kaum auf. Wir sind zu langsam.“
Nigs trat neben ihn an die Reling.
„Der Wind steht ungünstig“, meinte Rubens,
obwohl er vom Segeln kaum etwas verstand. „Wir müssen abwarten.“
„Wenn wir alles dürfen, das nicht. Der Weg zur Insel ist nicht sehr weit. Wenn
wir die ganze Nacht mit dieser Entfernung hinter ihnen hersegeln, holen wir sie
nicht mehr ein. Ich bin ohnehin der Meinung, dass hier und jetzt der passende
Zeitpunkt ist. Ein Überraschungsmoment ist immer von Vorteil.“
„Und was habt Ihr vor?“ Die Schiffe der
Feinde waren kaum näher gekommen, seitdem die Jäger aufgebrochen waren. Die
Lichter auf den Schiffen waren winzig.
„Wir müssen leichter werden.“
„Wie stellt Ihr Euch das vor? Soll ich
meine Männer über Bord werfen?“
Nigs lachte laut. „Oh nein, nein. Wir haben
etliche Kanonen, schwere, unnütze Dinger - wir behalten nur die Hälfte.
Außerdem
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