MondSilberLicht
fies“, sprudelte sie los und setzte sich im Schneidersitz zu mir aufs Bett. „Aidan hat mich angerufen. Er hat alles mit angehört. Ich sag dir, sie will ihn bloß für sich haben. Es wurmt sie, dass er sich nichts aus ihr macht. Das hat er nie, wenn du mich fragst. Nur dich schien er zu mögen.“
Prüfend sah sie mich an.
Ich lächelte verzerrt.
„Dass er dir hinterhergelaufen ist, sagt doch alles. Das wird Valerie wütend gemacht haben.“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Was ist los mit euch? Ich hätte schwören können, dass ihr euch ineinander verliebt hattet. Du musst mir sagen, weshalb Dad verboten hat, dass ihr euch trefft. Ich verstehe das nicht. Er ist sonst nicht so … so altmodisch.“
Ich dachte an Calums verzweifelte Umarmung und mir lief ein Schauer über den Rücken. Was hatte ich dabei empfunden? Angst war es nicht gewesen, obwohl es vielleicht das Vernünftigste gewesen wäre.
„Amelie, das ist kompliziert. Ich kann dir das nicht erklären. Aber Ethan hatte recht. Das mit Calum und mir hätte nicht funktioniert. Es war besser, es zu beenden.“
Ungläubig starrte sie mich an. „Was redest du da? Ihr hättet super zusammengepasst, und seien wir mal ehrlich, Calum ist der Traum jeder Schwiegermutter, gut aussehend, intelligent, einfühlsam. Soll ich weitermachen?“
„Nein, bloß nicht“, ich musste gegen meinen Willen lachen.
„Lass uns in der Küche etwas Essbares suchen, ich hab Hunger“, versuchte ich sie abzulenken.
Am nächsten Morgen gab es für mich nur einen Gedanken. Es war unmöglich, heute zur Schule zu gehen und Calum über den Weg zu laufen. Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen. Das war undenkbar.
Zum Glück waren Ethan und Bree entgegen ihrer Gewohnheit heute schon früher losgefahren.
„Amelie, ich habe totale Kopfschmerzen“, sagte ich, während wir unser Müsli aßen. „Ich kann heute nicht mitkommen. Wärst du so lieb und entschuldigst mich?“
Ich sah ihr an, dass sie nicht überzeugt war, aber dann nickte sie und fuhr allein los.
Ich legte mich ins Bett, konnte jedoch nicht wieder einschlafen.
Ich holte mir mein Buch vom Schreibtisch und begann zu lesen. Sophie hatte mir vor einer Weile den Sommernachtstraum gegeben. Bisher war ich nicht dazu gekommen, ihn zu lesen. Nun musste ich direkt am Beginn dieser Lektüre feststellen, dass es auch hier um die unerfüllbare Liebe ging. Ich hatte gehofft, dass das schmale Bändchen mich unterhalten und ablenken würde. Nach den ersten Zeilen wurde ich eines Besseren belehrt.
„Entwandest meiner Tochter Herz mit List, verkehrtest ihren kindlichen Gehorsam in eigensinngen Trotz.“
Ich zögerte. Ob ich weiterlesen sollte? Wieder eine Geschichte um eine verbotene Liebe und dann waren auch noch Elfen darin verwickelt. Ich sollte das Buch in die Ecke schmeißen. Trotzdem las ich weiter. Würde Hermia ihren Lysander bekommen, trotz des Verbots des Vaters? Ein Happy End würde mich vielleicht aufmuntern.
„Drum lass Geduld uns durch die Prüfung lernen,
Weil Leid der Liebe so geeignet ist
Wie Träume, Seufzer, stille Wünsche, Tränen,
Der armen kranken Leidenschaft Gefolge.“
Gehörten Liebe und Leid denn unweigerlich zusammen? Okay, vielleicht in Büchern.
Hermia jedenfalls stellte sich tapfer dieser Prüfung, aber ich feiges Huhn hatte mich gar nicht darauf eingelassen, sondern war sofort weggerannt. Ich konnte das nicht weiterlesen. Jedenfalls jetzt nicht.
Ich dachte an Calums Umarmung. Warum war er mir hinterhergelaufen, hatte sich entschuldigt? Er musste mich hassen, nachdem ich ihn so behandelt hatte. Seufzend stand ich auf und zog mich an. Arme kranke Leidenschaft, das traf es genau.
Ich beschloss, einen Spaziergang zu machen. Zum Glück regnete es nicht. Im Gegenteil, einige Sonnenstrahlen hatten es geschafft, sich durch die Wolkendecke zu kämpfen. Trotzdem beschloss ich, eine dicke Jacke anzuziehen.
Aus der Küche holte ich mir einen Apfel und trank ein Glas Milch. Mein Appetit war mir in den letzten Wochen abhanden gekommen, sehr zur Sorge von Bree, die täglich versuchte, mich mit neuen Köstlichkeiten zu verführen.
Ich stand schon draußen, da lief ich noch mal zurück in mein Zimmer und steckte das von mir so stiefmütterlich behandelte Buch in meine Jacke. Was konnte Shakespeare schon für meine Dummheit? Vielleicht fand sich ein trockenes Plätzchen zum Lesen.
Dann lief ich los. Ich lief und lief, bis ich bemerkte, dass ich am Waldrand stand. Ich war nie allein hier gewesen. Immer nur mit Calum. Langsamer
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