MondSilberLicht
folgte ich dem Pfad. Die Anspannung fiel von mir ab. Das Sonnenlicht lugte durch das dichte Blätterdach und zauberte Lichtpunkte auf den moosbedeckten Boden. Es war wunderschön und ganz still. Es dauerte nicht lange und ich stand auf unserer Lichtung. Ich setzte mich ins Gras und lehnte mich mit dem Rücken an einen Stein. Die Bäume ringsum hatten sich kunterbunt gefärbt, der See war bedeckt mit gelben und roten Blättern. Die Sonne schien mir direkt ins Gesicht und streichelte meine Haut. Das Gras an dieser Stelle war trocken und warm.
Ich zog den Apfel und mein Buch aus der Tasche und vertiefte mich wieder in den Text. Ich litt mit Hermia und bewunderte ihren Mut, mit Lysander zu fliehen. Ich verabscheute Demetrius, der Helena so schlecht behandelte. Wie konnte sie sich das gefallen lassen? Weshalb warf sie sich ihm so an den Hals?
Seufzend schloss ich die Augen und hielt mein Gesicht in die Sonne.
Ich musste eingeschlafen sein. Als ich wach wurde, war die Sonne weitergewandert und mir war kalt. Es war besser, wenn ich zurückging. Ich stand auf, steckte das Buch ein und warf einen wehmütigen Blick auf den See. Ich war glücklich hier gewesen.
Als ich mich zum Gehen wandte, bewegte sich etwas zwischen den Bäumen. Ich erschrak. Dann erkannte ich, wer dort stand.
Es war Calum. Langsam, fast vorsichtig kam er auf mich zu.
Überrascht sah ich ihm entgegen.
„Was … was tust du hier?“
„Das sollte ich wohl eher dich fragen. Bist du verrückt, allein in den Wald zu gehen?“, erwiderte er.
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht“, entgegnete ich, entschlossen, seinen unfreundlichen Tonfall zu ignorieren.
In seinem Gesicht spiegelten sich die unterschiedlichsten Gefühle. Am liebsten hätte ich die Hand nach ihm ausgestreckt und seine Wange berührt.
„Ich hab mich gefragt, wo du bist. Ich wollte mit dir reden, wegen gestern.“ Er sprach jetzt versöhnlicher und schaute mich dabei an.
„Zerbrich dir nicht den Kopf“, murmelte ich. „Du hattest ja recht, zwischen uns war schließlich nie etwas Ernstes. Es war albern von mir, wegzulaufen“, fügte ich hinzu, doch es war, als hätte er meine Worte nicht gehört.
„Für mich war es ernst“, sagte er. „Es macht mich krank, wenn ich dich nicht wenigstens sehe.“
Ungläubig sah ich ihn an.
„Wieso sagst du das?“, fragte ich und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme versagte.
„Du weißt gar nicht, was ich für dich empfinde, Emma“, stellte er einfach fest.
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Das musste einer meiner zu realistischen Träume sein.
Er machte einen Schritt auf mich zu und zog mich an sich. Seine sanfte Stimme flüsterte kaum vernehmbar und doch überdeutlich in mein Ohr:
„Ich halte das nicht länger aus. Ich sehne mich nach dir. Jeden Tag, jede Stunde. Es ist furchtbar schwer, mich von dir fernzuhalten. Ich hab es versucht, aber ich habe einfach keine Kraft mehr dazu. Ich würde dir nie etwas antun. Ich würde eher selbst sterben, als dir wehzutun oder zuzulassen, dass dir jemand wehtut.“
Ich lehnte meine Stirn an seine Brust und schluckte.
„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.“ Seine Stimme klang resigniert.
Ich schüttelte den Kopf.
„Es tut mir leid, dass ich mich so dumm angestellt habe“, presste ich hervor. „Ich hab dich schrecklich vermisst, aber ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich habe mich nicht getraut, noch einmal zu dir zu gehen. Ich hatte Angst, dass du mich nicht mehr willst. Du warst so abweisend.“
Als Antwort zog er mich fester an seine Brust und schwieg und ich schlang meine Arme um ihn.
„Ich wollte nicht so reagieren“, versuchte ich weiter zu erklären. „Ja, ich fürchtete mich. Ich kannte all diese Geschichten von meiner Mutter. Schon als Kind hatte ich Angst vor den Shellycoats, trotzdem es für mich nur Märchen waren. Nie im Traum hätte ich gedacht, dass es euch wirklich gibt. Die ganzen Wochen hab ich mich nach dir gesehnt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, ob du mir verzeihen könntest“, sprudelte es aus mir heraus.
Calum schwieg und strich vorsichtig mit seinen Lippen an meiner Schläfe entlang.
„Verzeihst du mir?“, zögernd kamen diese Worte über meine Lippen.
Er legte mir seine Finger unter das Kinn, so dass ich ihn ansehen musste. Diese Augen, diese unverschämt blauen Augen, in die ich mich vom ersten Moment an verliebt hatte. Er strich mit einem Finger über meine Lippen. Ich schloss die Augen. Sanft glitten seine Lippen über meine Lider, meine Wangen.
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