Mondstahl - Die Schlucht (German Edition)
in den Süden nicht verstand. So blieb Elaron sich selbst überlassen.“
„Und die Bergleute übernahmen die Führung?“
Galenis lachte bitter auf.
„Nein, die armen Teufel hatten weiterhin nichts zu sagen. Der Graf war weg, aber sein Marschall und dessen Handelshaus blieben. Sie wurden die Herren der Stadt, schickten die Menschen weiterhin in die Schlucht, diesmal auf eigene Rechnung. So kamen sie zu erheblichem Wohlstand. Die Patrizier der heutigen Stadt sind die Nachfahren der Mitglieder des gräflichen Handelshauses. Im Laufe der Zeit – angelockt vom Geld und der Sicherheit der Stadtmauern im wilden Süden – kamen Handwerker und fahrende Händler und ließen sich in der Stadt nieder. Kleinbauern und ganze Dörfer stellten sich gegen Abgaben unter den Schutz der Stadt. So prosperierte Elaron vor sich hin und wurde letztendlich zu dem, was sie heute ist. Im Süden gibt es kaum Städte, also wurde es ein Knotenpunkt des Handels. Aber in der all der Zeit war die Schlucht sowohl Ernährer, als auch Feind.“
Vor einem großen Brunnen, der einen Schwan mit ausgebreiteten Flügeln zeigte, setzten sich die beiden auf den Boden, um zu rasten. Die Dämmerung war hereingebrochen, Nachtwächter patrouillierten in den Straßen und entzündeten Laternen.
„Wie meinst du das? Ernährer und Feind?“
„Der Reichtum Elarons ging anfangs nur von dieser Schlucht aus. Noch heute kann man sie betreten, obwohl ein großes Tor den Zugang versperrt.“
„Sie schicken keine Menschen mehr hinein?“
„Nein. Was aber nicht bedeutet, dass sie nicht mehr betreten wird. Das Armenviertel ist voller Verzweifelter, die für einen Kanten Brot alles riskieren. Der Tod in der Schlucht ist für die Führung der Stadt noch heute ein lukratives Geschäft. Das Tor dient einem anderen Zweck. Es ist nicht dafür da, den Menschen den Zutritt in die Schlucht zu verwehren. Es verwehrt der Schlucht den Zugang zu den Menschen.“
Parus sah ihn zweifelnd an.
„Die Schlucht der Tausend Tode trägt ihren Namen nicht ohne Grund. Sie ist lang und verästelt und es leben Wesen in ihr, denen kein Mensch bei Verstand begegnen möchte. Sie ist eine Welt für sich, und sie gehört definitiv nicht mehr zum Reich der Menschen.“
„Deshalb ziehen es die Reichen vor, so nahe am Stadttor zu wohnen.“
Galenis schnaubte durch die Nase.
„Elaron wurde noch nie belagert. Der Norden ist auf die Waren, die hier umgeschlagen werden, angewiesen. Es wäre kein gutes Geschäft für die Grafen, es anzugreifen. Und die Räuberbanden, die hier vereinzelt noch ihr Unwesen treiben, haben weder das Gerät noch die Männer für einen Angriff. Ganz davon abgesehen, dass die Stadtwache ohnehin schon Jagd auf sie macht, um die Handelswege zu schützen. Die wahre Gefahr liegt nicht außerhalb der Stadt, sondern in ihrem Inneren. Deshalb ziehen es die Patrizier vor, direkt an der Stadtmauer zu siedeln. Wenn die Kreaturen der Schlucht eines Tages herauskommen sollten, werden sie sich zuerst am Fleisch der Armen sattfressen. Dann kommen die Bürger, dann die Händler. Bis dahin sind die Reichen längst verschwunden.“
Galenis spuckte aus.
„Sie haben diese Furcht vor der Schlucht von ihren Großvätern geerbt. Ich glaube nicht, dass sie noch heute wirklich Angst davor haben, die Schlucht könnte sich die Stadt einverleiben.“
„Und was glaubst du?“
Der Zauberkundige betrachtete eine Weile lang schweigend den Nachthimmel, bevor er antwortete:
„Ich glaube, dass sie gut daran täten, die Schlucht zu fürchten. Aber noch mehr Angst sollten sie davor haben, dass die Halbbürger und Armen der Stadt die Vermögensverteilung in Elaron noch einmal kritisch überdenken. Und sie schließlich so enden wie der Herr ihrer Ahnen.“
Eine Weile lang schiegen sie sich an. Die Nacht löste die Dämmerung ab. Es wurde sehr still, nur von vereinzelten Tavernen drang dumpfer Lärm zu ihnen herüber. Schließlich ergriff Parus das Wort:
„Dann werden wir heute bei deinem alten Studienkameraden schlafen? Wird er nicht wütend sein, wenn wir ihn mitten in der Nacht aufsuchen?“
Ein vorsichtiges Lächeln schlich sich in Galenis Gesicht.
„Er ist nicht der Mann, der sich über den Besuch eines alten Freundes ärgert. Zumindest, wenn er in seinen alten Tagen nicht allzu schrullig geworden ist. Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen.“
Bei diesen Worten erhob sich der
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